Stuttgart

„Primat des Digitalen“: Hochschulen stellen Unterricht um

Wegen des Coronavirus bereiten sich die Hochschulen auf einen digitalen Lehrbetrieb im Sommersemester vor. Manchen bereitet das viel Kopfzerbrechen, andere fühlen sich gut gerüstet.

14.04.2020

Von dpa/lsw

Theresia Bauer (Grüne), Wisschenschaftsministerin von BW. Foto: Christoph Schmidt/dpa/Archivbild

Theresia Bauer (Grüne), Wisschenschaftsministerin von BW. Foto: Christoph Schmidt/dpa/Archivbild

Stuttgart. Als „Fernstudium“ ist bekannt, was wegen der anhaltenden Corona-Krise in diesem Sommersemester auch an den baden-württembergischen Hochschulen Einzug halten wird: das Studieren von zu Hause aus mit digitalen Medien. Denn nicht nur die Schulen, Kneipen und die meisten Unternehmen sind dicht, auch auf das Gelände der Hochschulen verliert sich in diesen Wochen kein Student.

Ein Großteil der Studienleistungen könnte daher nach dem Ende der Semesterferien am 20. April aus der Ferne erbracht werden. Der Online-Start steht fest, Dauer und Ausgestaltung des Semesters per Mausklick sind dagegen an einigen Standorten noch offen. Das stellt vor allem die Dozenten in Fächern mit vielen Praxisübungen vor besondere Herausforderungen.

„Es gilt ab der kommenden Woche der Primat des Digitalen“, sagt Florian Klebs, Sprecher der Stuttgarter Universität Hohenheim. „Das Semester fängt digital an und es hört auch digital auf.“ Hohenheims Dozenten seien bereits Mitte März aufgefordert worden, auf die digitale Lehre umzustellen. „Eine eigene Task Force unterstützt sie dabei mit einer Art Werkzeugkasten für alle technischen und didaktischen Fragen“, erläutert Klebs.

Die Umstellung sei für einen Studiengang wie den Wirtschaftswissenschaften mit mehreren Hundert Zuhörern in einer Vorlesung auch eine Herausforderung für die IT-Infrastruktur: „So große Veranstaltungen können wir zum Beispiel nicht live streamen“, sagt Klebs. Bei anderen Fächern mit Feld- oder Laborarbeiten wie zum Beispiel Teilen der Agrarwissenschaften arbeite die Hochschule an einer Lösung: „Die Idee ist, dass alles, was Präsenz erfordert, im Semester zeitlich nach hinten geschoben wird“, sagt Klebs.

Nicht nur die Hohenheimer, auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wartet trotz der digitalen Vorbereitung gespannt, ob sich die Bundesregierung an diesem Mittwoch zu Lockerungen bei den derzeitigen Vorschriften durchringen kann. „Für die schrittweise Rückkehr zum standardmäßigen Betrieb hat das KIT einen Stufenplan entwickelt, dessen Umsetzung sich genau daran orientieren wird, was die Infektionsschutzvorgaben von Bund, Land und Kommune zukünftig zulassen und empfehlen werden“, sagt Alexander Wanner, Vizepräsident des KIT für Lehre und akademische Angelegenheiten. „Hier ist - wie derzeit überall - viel Geduld erforderlich.“

Zum Semesterstart seien auch eine „Eins-zu-eins-Betreuung“ unter Einhaltung der Abstände sowie mündliche Prüfungen mit maximal fünf Personen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit geplant, teilt das KIT mit.

Ein weiteres Beispiel: Musikhochschulen. Dort wird eigentlich viel allein oder in Gruppen musiziert. Aber beim Singen oder beim Spielen von Blasinstrumenten gilt die Gefahr als besonders hoch, über Tröpfchen andere Menschen mit dem Coronavirus anzustecken. Zugleich sind manche Studenten darauf angewiesen, die Instrumente der Hochschule nutzen zu dürfen - nicht jeder hat ein Klavier oder Schlagzeug zu Hause. Der Rektor der Musikhochschule Freiburg, Ludwig Holtmeier, spricht daher von einer „großen Herausforderung“, die das Coronavirus bedeute.

Laut Holtmeier hat die Hochschule Serverkapazitäten und digitale Kommunikationssysteme für die digitale Lehre aufgebaut. Zugleich hofft man, dass unter strengen Voraussetzungen noch einige Hochschulangehörige Zutritt zu Übungsräumen und Sälen haben dürfen. Dazu soll es Zugangsbeschränkungen und genau gekennzeichnete Wege geben, auf denen sich bestimmte Studenten oder Dozenten bewegen dürfen - sofern die Corona-Verordnung der Landesregierung dies erlaubt. Plexiglasscheiben sollen Lehrer und Schüler auf Distanz halten. Kleinere Gruppen, die zusammen üben, sollen sich in großen Sälen zerstreuen.

Doch es gibt auch noch ganz andere Fragen zu klären: Was ist, wenn ein Großteil der internationalen Studenten gar nicht ausreisen darf? Wie sollen Aufnahmeprüfungen online laufen? Wie müssen dazu Prüfungsordnungen geändert werden? „Als Team ist da für uns eine wahnsinnige Herausforderung“, sagte Holtmeier. Er glaubt aber, dass bis zum 20. April alle entscheidenden Fragen geklärt sein werden.

Die Popakademie in Mannheim startete bereits Ende März ins neue Semester. Nach den Worten des Künstlerischen Direktors Udo Dahmen hat die Akademie alles auf online umgestellt. „Das läuft weitgehend reibungslos“, sagt Dahmen. Studenten könnten sich auf speziellen Plattformen einwählen - die Stundenpläne könnten weitestgehend eingehalten werden. „Im Grunde sind wir sehr zufrieden.“ Die größte Herausforderung habe darin bestanden, Studenten und Dozenten an die technische Ausrüstung samt schneller Internetverbindung anzubinden.

Nach Angaben des Wissenschaftsministeriums besteht das Ziel im neuen Semester darin, vor allem die Pflichtveranstaltungen digital abzudecken. Für Fächer mit viel Praxis, wie etwa Medizin, Sport und Landwirtschaft, soll es „pragmatische Lösungen“ geben. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) lobte, die Hochschulleitungen und die Dozenten gingen die Herausforderung mit großem Engagement an. „Wichtig ist, dass wir schnell Lösungen finden, denn es geht um die Umstellung jetzt, nicht erst in einem oder zwei Monaten“, sagte sie.

Baden-Württemberg hatte den Start des Sommersemesters wegen des Coronavirus auf den 20. April verschoben. An den staatlichen Hochschulen im Südwesten sind rund 330 000 Studenten eingeschrieben.

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Erstellt:
14.04.2020, 07:35 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 23sec
zuletzt aktualisiert: 14.04.2020, 07:35 Uhr

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