Tübingen · Schwurgericht

Hirschau-Prozess: Unfallfahrer erhält Bewährungsstrafe

Im Prozess um den Unfalltod eines 18-jährigen Wurmlingers bei Hirschau ist das Urteil gefallen: Der 24-jährige Fahrer ist des versuchten Mordes und der fahrlässigen Tötung schuldig. Er erhielt eine Bewährungsstrafe von 2 Jahren. Sein Beifahrer wurde wegen unterlassener Hilfeleistung zu 90 Tagessätzen verurteilt. Sie hatten den 18-Jährigen im April vergangenen Jahres angefahren und erst über eine Stunde später Hilfe geholt.

04.03.2020

Von Jonas Bleeser

Der Eingang zum Tübinger Schwurgerichtssaal. Symbolbild: Sommer

Der Eingang zum Tübinger Schwurgerichtssaal. Symbolbild: Sommer

Das Tübinger Schwurgericht fällte heute das Urteil im Prozess um den Unfalltod eines 18-jährigen Wurmlingers: Sie verurteilten den Fahrer des Unfallwagens zu einer Haftstrafe von 2 Jahren. Sie wurde zur Bewährung ausgesetzt. Sein Beifahrer muss eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen von je 80 Euro zahlen (hier geht es zum ausführlichen Bericht mit der Erklärung des Gerichts).

Der Wurmlinger war am 28. April gegen 4.45 Uhr betrunken zu Fuß auf dem Heimweg von Hirschau gewesen. Dort hatte er kurz hinter dem Ortsschild die Landstraße überquert. Dabei erfasste ihn der BMW eines 24-Jährigen und schleuderte ihn von der Straße. Der Fahrer und sein 21-jähriger Beifahrer waren auf dem Heimweg vom Feiern im „Top 10“, beide hatten ebenfalls Alkohol getrunken. Nach dem Unfall hielten sie nicht an, sondern fuhren zunächst bis in ihren Heimatort im Kreis Rottweil und klingelten einen Verwandten aus dem Bett. Erst dann kehrten sie über eine Stunde später an den Unfallort zurück und riefen die Polizei. Der 18-Jährige starb an der Unfallstelle.

Die Tübinger Staatsanwaltschaft warf dem Beifahrer unterlassene Hilfeleistung vor, dem Fahrer fahrlässige Tötung, Unfallflucht und versuchten Mord durch unterlassene Hilfeleistung. Die beiden Angeklagten schwiegen vor Gericht zu den Vorwürfen, äußerten aber ihr tiefes Bedauern.

Der Fall gleiche einem Puzzle-Spiel, zu dem die Angeklagten nichts beigetragen hätten, so die Staatsanwältin. Sie geht davon aus, dass der Fahrer sehr wohl merkte, dass er einen Menschen angefahren hatte - aber trotzdem von der Unfallstelle floh und keine Hilfe holte. Deshalb habe er sich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht. Da allerdings auch der stark betrunkene Fußgänger eine hohe Mitschuld an dem Unfall gehabt habe, weil er ohne auf das Auto zu achten auf die dunkle Straße lief, forderte sie dafür nur 6 Monate Haft.

Viel schwerer wiege das Verhalten nach dem Unfall: Dass der Fahrer nicht anhielt, obwohl er hätte wissen müssen, dass jemand schwerverletzt Hilfe benötigte, wertet sie als versuchten Mord durch Unterlassen. Sie machte die Mordmerkmale Verdeckung einer Straftat und niedrige Beweggründe aus. Weil es nicht sicher sei, ob das Opfer auch mit Hilfe überlebt hätte, bleibe es beim Versuch. Sicher sei aber: „Er hat noch eine ganze Weile gelebt, und es war niemand da, der ihm beigestanden hat.“ Das Weiterfahren sei „moralisch zutiefst verwerflich“ gewesen. Deshalb forderte sie für den versuchten Mord 6 Jahre Haft, insgesamt 6 Jahre und drei Monate. Der Beifahrer hätte Hilfe holen können, das aber nicht getan. Deshalb solle er eine Bewährungsstrafe von einem Jahr bekommen.

Die Verteidigung dagegen bewertete die Geschehnisse der Nacht gänzlich anders. Der Anwalt des Beifahrers forderte Freispruch für seinen Mandanten: Der habe den Unfall erst bemerkt, als es bereits passiert war. „Er ging von einem Wildunfall aus.“ Außerdem müsse man davon ausgehen, dass das Unfallopfer schnell starb, sein Mandant also gar keine Hilfe hätte mehr leisten können.

Die Verteidigerin des Fahrers ging ebenfalls davon aus, dass ihr Mandant davon ausging, ein Tier angefahren zu haben. Auch er sei durch den Unfall traumatisiert worden und habe „einem menschlichen Fluchtreiz“ nachgegeben. Selbst wenn man von einer versuchten Tötung durch Unterlassen ausgehen wolle: Durch die Rückkehr an die Unfallstelle und den anschließenden Notruf des Beifahrers sei man von diesem Versuch zurückgetreten.

Der weitere Verteidiger sah den Unfall als „schicksalshaft“ an: Hätte sich nur einer der Beteiligten an irgendeiner Stelle anders verhalten, wäre es nicht dazu gekommen. Der Fahrer trage die Hauptverantwortung am Tod des 18-Jährigen und stehe auch dazu: Er schrieb einen Brief an die Famile, es tue ihm unendlich leid. Beide forderten eine Strafe unter zwei Jahren Haft, die zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Beide Angeklagte hatten in ihrem letzten Wort unter Tränen beteuert, wie sehr es ihnen leidtue.

Der Kommentar zum Urteil von TAGBLATT-Redakteur Jonas Bleeser.