Brüssel. Konzerne haben derzeit einen schlechten Ruf, ganz besonders jene aus der Automobilbranche: Sie nehmen Premium-Preise für manipulierte Produkte und lassen Käufer im Regen stehen, die Entschädigung verlangen. Wenn die EU-Kommission nun den Weg für eine Kollektivklage frei machen will, klingt das deshalb auf den ersten Blick gut: Brüssel hat ein Herz für Verbraucher, es entlastet die Gerichte und hilft David gegen Goliath.
Auf den zweiten Blick hat die Sache einen Haken: Sammelklagen sind ein Instrument des angelsächsischen Rechtssystems, in dem individuelle Freiheit und ihre oft drastischen Folgen ganz anders gewichtet werden. Gerichte sind dort an Grundsatzurteile gebunden, es gibt Präzedenzfälle, Unternehmen dürfen Produkte in Verkehr bringen, ohne Risiken abschätzen zu müssen, Schadenersatz hat echte Straffunktion – Prinzipien, die europäischen Rechtsordnungen meist fremd sind.
Es ist gut, Verbraucher zu stärken, doch bewährte Rechtselemente zu opfern, ist riskant. Ein Blick auf das im Zusammenhang mit Verstößen im Internet grassierende Abmahnunwesen zeigt: Aus gut gedachten Vorschriften, die – unter anderem Verbänden – die Durchsetzung legitimer Interessen Dritter erleichtern sollen, hat sich ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt, das allzu oft rechtsmissbräuchlich wirkt. Das sollte als Warnung genügen.