Trauer

Hilfe für Hinterbliebene nach Suizid

Der Arbeitskreis Leben richtet eine neue Selbsthilfegruppe ein. Von Andrea Bachmann

23.03.2019

Von Andrea Bachmann

Jedes Jahr nehmen sich in Deutschland etwa 10000 Menschen das Leben. Angehörige, Freunde und Kollegen müssen nicht nur den Verlust eines geliebten Menschen bewältigen, sondern fühlen sich oft auch noch mit Schuldgefühlen, unbeantworteten Fragen und einer Umwelt, die sie als verständnislos erleben, konfrontiert. Der Arbeitskreis Leben in Tübingen (AKL), der seit 1976 Menschen in Lebenskrisen und bei Suizidgefährdung berät und begleitet, startet mit einem Angebot für Trauernde, die einen Menschen durch Suizid verloren haben: Eine Selbsthilfegruppe soll ihnen einen Raum geben, sich mit anderen Betroffenen austauschen zu können.

Im April soll die Gruppen starten. Sie wird von Susanne Hübel und Gisela Kirschner geleitet, die beide Kinder durch Suizid verloren haben und setzt auf die gegenseitige Unterstützung der Betroffenen. Die beiden ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Arbeitskreises erklären, dass viele Menschen das, was Trauernde bewegt, oft nicht nachvollziehen könnten. In der Gruppe könne man über alles sprechen ohne bewertet zu werden. Oft ginge es auch um Fragen der Alltagsbewältigung: Was geschieht mit dem Zimmer oder den Kleidern der Verstorbenen, wie verhält man sich am Arbeitsplatz, was macht man bei einer Familienfeier? „Wenn ich höre, wie andere Betroffene mit solchen Problemen umgegangen sind, bekomme ich selber Anregungen“, so Gisela Kirschner.

Ist es immer noch so, dass über Suizid nicht gesprochen werden darf? Susanne Hülbe wägt ab: „Man kann es natürlich immer sagen, aber man will es nicht immer. Ich muss jedes Mal einschätzen, was ich bei meinem Gegenüber oder bei mir auslöse, wenn ich darüber spreche.“ Die Hilflosigkeit von Freundinnen, Nachbarn oder Kolleginnen mache es nicht leichter. Ihr übliches Angebot, jederzeit anrufen oder immer reden zu können, wird von Trauernden kaum genutzt. „Da hat man auch schnell das Gefühl, dass man stört, wenn man tatsächlich zum Hörer greift“, so Carola Schnurr. Besser sei es, Hilfsangebote zu konkretisieren: „Ich habe morgen Zeit. Möchtest du mit mir spazieren gehen“, sei von Trauernden leichter anzunehmen.

Susanne Hübel erzählt, wie sie und ihre Familie damit umgegangen sind: „Wir haben einen Jahresbrief geschrieben, erzählt, wie es uns geht und gesagt, dass wir uns freuen, wenn jemand mit uns über unseren Sohn sprechen möchte.“

Der Arbeitskreis Leben ermutigt Angehörige, offen mit dem Thema umzugehen. Die Energie, die für Verschweigen und Vertuschen aufgewendet werden muss, fehle, um das Geschehen zu verarbeiten. Mit dem Suizid eines Angehörigen werd man nie fertig – auch nach Jahren nicht. Deshalb soll eine Selbsthilfegruppe Raum geben, sich zu stellen, sich auch dann noch damit auseinandersetzen zu können, wenn die Umwelt bereits überfordert wäre.

Austausch und Vernetzung sind den beiden Leiterinnen der Selbsthilfegruppe wichtig, aber auch das Angebot, Freizeit miteinander zu verbringen und vielleicht neue Freundschaften knüpfen zu können. Wer sich für eine Teilnahme an der Selbsthilfegruppe interessiert, sollte sich zunächst bei Beratungsstelle vom Arbeitskreis Leben melden, die dann den Kontakt zherstellt. Eine Selbsthilfegruppe sei nicht für alle Betroffenen in jeder Situation die beste Möglichkeit und man wolle vermeiden, dass jemand mit seiner Trauer und seinem Schmerz in der Tür steht und dann feststellen müsse, dass diese Strategie der Bewältigung gar nicht passt, meint Carola Schnurr. Gisela Kischner meint: „Dieses Gefühl, aus der Welt gefallen zu sein kann in einer Selbsthilfegruppe aufgefangen werden und gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein.“ Und Susanne Hübel ergänzt: „Mir wird hier ein Raum bereit gestellt, in den ich mit meiner Trauer und meinen Gefühlen hingehen kann, auch wenn der Wahnsinn des ersten Schocks vorbei ist.“