Tarifstreit · Es gibt Lösungen diesseits der roten Linie

Heute wird am Uniklinikum gestreikt · Klinikums-Chef Bamberg spricht über Lösungswege und Grenzen

Wenn heute am Klinikum gestreikt wird, geht es vor allem um eine Regelung für die Mindestbesetzung der Stationen.

25.01.2018

Von Angelika Bachmann

Michael Bamberg zum Pflege-Tarifkonflikt
© Video: Schweizer 06:57 min
Prof. Dr. Michael Bamberg, ärztlicher Direktor des Tübinger Uni-Klinikums, zum Pflege-Tarifkonflikt.

Das Uni-Klinikum behandelt immer mehr Patienten: Seit 2007 ist deren Zahl von jährlich 57000 auf 71000 gestiegen. Der Anteil der schwerkranken Patienten nimmt zu, die durchschnittliche Verweildauer liegt nur noch bei 6,5 Tagen. Gleichzeitig macht es der Pflegenotstand schwieriger, Personal zu finden. Was das bedeutet, weiß auch Uni-Klinikums-Chef Michael Bamberg: „Wir haben eine massive Arbeitsverdichtung.“ Die von der Gewerkschaft Verdi geforderte generelle Festschreibung von Mindestbesetzungen für Krankenhausstationen hält Bamberg jedoch für den falschen Weg. „Wir haben kein Problem, über Mindestbesetzungen zu reden. Aber nicht als starres System“, sagt Bamberg im Gespräch mit dem TAGBLATT.

Strittig ist dabei insbesondere die Besetzung der Normalstationen. Eine Pflegekraft für sieben Patienten fordert Verdi im derzeitigen Tarifstreit. Die Arbeitgeberseite will einer solchen einheitlichen Festschreibung aber auf keinen Fall zustimmen. „Das ist für uns eine rote Linie – das geht nicht. Über alles andere können wir reden“, sagt Bamberg. Man könne sehr wohl Mindestbesetzungen festlegen. Diese müssten aber an die tatsächlichen Belastungen auf den Stationen angepasst sein – und die seien sehr unterschiedlich. Auf Stationen mit vielen schwerstkranken, immobilen Krebspatienten könne ein Schlüssel von 1:7 eine Unterbesetzung bedeuten. Auf anderen Stationen mit Patienten, die weniger Betreuung bräuchten, könne eine Pflegekraft auch mehr Patienten versorgen.

Der zweite große Konfliktpunkt: Was soll passieren, wenn der festgelegte Pflegeschlüssel nicht eingehalten wird – weil sich Mitarbeiter krank melden oder kündigen? „Das ist unsere größte Sorge, dass wir jeden Morgen gezwungen wären, 10 bis 20 Prozent der Betten zu schließen“, sagt Bamberg. Müsste jeden Tag Station für Station verhandelt werden, was noch geht?

„Konsequenzenmanagement“ nennt Verdi die Forderung, mit der verhindert werden soll, dass eine Mindestbesetzung der Stationen zwar festgeschrieben, ein Verstoß gegen diese Regelung aber keine Folgen hat – ein Problem, das sich auch an der Berliner Charité gezeigt hat. Die Charité ist bundesweit das erste Krankenhaus, das einen festen Personalschlüssel eingeführt hat. Bamberg schlägt hierzu ein „Ampelsystem“ vor. Das würde bedeuten, dass Betten nicht sofort geschlossen werden müssten, wenn der Personalschlüssel unterschritten wird – allerdings dann doch, wenn der Mangel nicht behoben wird. „Aber jeden Morgen eine Sitzung zum Ausfallsmanagement mit Verdi – das machen wir nicht!“

Bei der Personalausstattung müsse man zudem berücksichtigen, dass es mittlerweile viele „pflegeunterstützende Servicekräfte“ gebe: Sie teilen Essen aus oder bringen zum Beispiel Liege-Patienten zum Röntgen oder aus den Überwachungszimmern in das Krankenzimmer („Bettenschieben“).

Was passiert, wenn ein festgeschriebener Personalschlüssel nicht eingehalten wird? Klinikums-Chef Michael Bamberg und seine Kollegen befürchten häufige Bettenschließungen. Archivbild: Metz

Was passiert, wenn ein festgeschriebener Personalschlüssel nicht eingehalten wird? Klinikums-Chef Michael Bamberg und seine Kollegen befürchten häufige Bettenschließungen. Archivbild: Metz

154 zusätzliche Stellen würden in Tübingen gebraucht, sagt Verdi. Die Gewerkschaft macht zu diesem Thema regelmäßig Befragungen auf den Stationen. Bamberg: „Das ist Wunschdenken.“ Die Mitarbeiter zu fragen, wie viele zusätzliche Stellen sie gerne hätten, könne keine Grundlage für die Ermittlung notwendiger Personalstellen sein.

120 zusätzliche Stellen für alle vier Universitäts-Klinika haben die Arbeitgeber in der letzten Verhandlungsrunde angeboten. Für Tübingen würde das 30 zusätzliche Stellen bedeuten. „Die werden kommen, auch ohne eine Einigung im Tarifstreit“, sagt Bamberg. Ebenfalls verbessert werde die Personalausstattung für pflegeintensive Bereiche wie etwa in der Neonatologie oder auf den Intensivstationen sowie für den Nachtdienst. Diese sind bereits gesetzlich festgeschrieben.

Selbst wenn neue Stellen geschaffen werden, bleibe immer noch das Problem, sie zu besetzen und gegenzufinanzieren. Das Klinikum will deshalb mit einem weiteren Wohnbauprojekt (siehe: „Nochmal 500 Appartements am Breiten Weg“) seine Chancen in der Konkurrenz um Pflegekräfte erhöhen. Zudem werde man weitere Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben. Derzeit sind 80 Pflegerinnen und Pfleger aus Italien, 50 von den Philippinen und 10 aus Serbien am Klinikum beschäftig.t „Und es werden noch mehr werden. Es ist klar, dass wir mehr Personal brauchen. Wir haben hier in Tübingen wirklich ein tolles Team aus verschiedenen Berufsgruppen. Und wir wollen die Mitarbeiter, die wir hier haben, nicht noch zusätzlich belasten.“

Allerdings seien bereits die bestehenden Stellen über das derzeitige Vergütungssystem nicht vollständig finanziert. „Wir geben jährlich 6,9 Millionen Euro mehr für die Pflege aus, als wir für sie über die Fallpauschalen erhalten.“ Veränderungen in diesem System seien aber schwer zu erreichen und dauerten lange. Für schnellere Entlastung setzt er auf Sonderprogramme und Verhandlungen mit dem Bundesgesundheitsministerium.

Am Freitag gehen die Tarifverhandlungen in die nächste Runde. Bambergs Einschätzung: Die Arbeitgeber hätten ein weitreichendes Angebot vorgelegt. „Wir sind eigentlich gar nicht so weit voneinander entfernt. Die Lösungen liegen auf dem Tisch.“

Nochmal 500 Appartements am Breiten Weg

Mit einem weiteren Wohnbauprojekt will das Uni-Klinikum seine Chancen bei der Anwerbung von Pflegekräften verbessern. Zwischen Breitem Weg und Schnarrenbergstraße werden 500 Appartements für Pflegeschüler/innen und Pflegebeschäftigte gebaut. Damit wurde die ursprüngliche Planung, dort 178 Wohneinheiten zu bauen, ausgeweitet. Die Wohnungen sind auch Ersatz für Personalwohnheime auf dem Schnarrenberg, die Klinikumsbauten weichen müssen. Das Klinikum nimmt für das Projekt einen Kredit in Höhe von 45 Millionen Euro auf. Zwischen Breitem Weg und Gmelinstraße hat die Postbaugewerkschaft zusammen mit dem Klinikum bereits 60 Wohnungen für Klinikumsbeschäftigte und Flüchtlinge gebaut.

Vom Beginn der Frühschicht bis zum Ende der Spätschicht wird das Tübinger Uni-Klinikum am heutigen Donnerstag bestreikt – ebenso wie die Universitätsklinika in Freiburg, Ulm und Heidelberg. Die zentrale Kundgebung in Tübingen ist um 13 Uhr am Casino auf dem Schnarrenberg.

Am Klinikum wurden für diesen Tag alle verschiebbaren Operationen abgesagt. Die Versorgung aller Notfälle ist gesichert. Auch die Geburtshilfe wird nicht bestreikt. Operationen bei Kindern und bei vielen schwerkranken Patienten werden ebenfalls stattfinden. Zwei Stationen (auf der Urologie und in der Gynäkologie) sind komplett geschlossen. Auf der neurochirurgischen Intensivstation bleiben 14 Betten, auf der gastroenterologischen Station 3 Betten geschlossen.

Zum Artikel

Erstellt:
25.01.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 53sec
zuletzt aktualisiert: 25.01.2018, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!