Zeit-Fragen
Heute hier, später dort…
Tiny houses symbolisieren die Sehnsucht nach einem einfacheren Leben, die Beschränkung auf das Wesentliche. Sie stehen für neue Lebenskonzepte, können aber gleichzeitig auch eine Lösung für städtebauliche Herausforderungen sein. Auf der Schwäbischen Alb produziert SchwörerHaus unter der Bezeichnung „FlyingSpaces“ Modulhäuser für nahezu jede Anforderung.
Das kleine Haus schwebt komplett vorgefertigt auf das Grundstück und muss dort nur noch angeschlossen werden.
Im Oktober eröffnete die Stadt Tübingen den Eigentümern von unbebauten Grundstücken eine neue Option: Unter dem Motto „Tiny Houses gegen Baulücken“ können die Eigentümer ihr Grundstück zeitlich befristet für die Erstellung eines mobilen Häuschens verpachten. Eine gute Lösung zum Beispiel für diejenigen, die ihren Grund und Boden später ihren Kindern übergeben wollen: In der Zwischenzeit erhalten sie Pachteinnahmen und vermeiden ein Baugebotsverfahren.
Klein und mobil
Schon in den 90er-Jahren hat sich das Hohensteiner Unternehmen SchwörerHaus mit dem Modulbau beschäftigt – „der Königsdisziplin der Vorfertigung“, wie Florian Schmid, Vertriebsleiter und Prokurist bei SchwörerHaus, die Bauweise bezeichnet.
Allerdings wollte damals noch niemand in einem Modul wohnen. Im Jahr 2010 gab der Entwurf des Architekten Jürgen Lohmann dann den Anstoß, dass auch SchwörerHaus seine Konzepte wieder aus der Schublade holte. In einer gemeinsamen Entwicklungsphase wurden die „FlyingSpaces“ getauften Häuschen zur Marktreife gebracht. Am Firmenstandort entstand ein Referenzgebäude – und das Interesse an der alternativen Wohnform wuchs. 2013 gingen die „FlyingSpaces“ in Serie. „Seither haben wir 300 Module installiert, die nächsten 150 sind in der Pipeline“, berichtet Schmid. Rund 70 Prozent der FlyingSpaces werden in Baden-Württemberg und den angrenzenden Bundesländern erstellt, gehen aber auch bundesweit und nach Österreich „auf Reise“.
„Unsere ursprüngliche Idee war, mit dem Motto ‚junges Wohnen‘ zu starten“, erzählt Schmid. „Wir haben aber schnell erkannt, dass sich junge Leute nur selten für dieses Konzept interessieren.“ Als Hauptzielgruppe erwies sich die Generation 50 plus: Die Kinder sind ausgezogen, das Haus zu groß und zu unterhaltsintensiv. „Spätestens wenn Eltern ihrem erwachsenen Nachwuchs die liebevoll aufbewahrte Schultüte vom Dachboden holen und als Antwort bekommen ‚Was soll ich damit?!‘, ist das ein Anstoß zum Entrümpeln“, sagt Schmid. Und Zeit für einen Neubau, der auf das reduziert ist, was man braucht, um bequem darin leben zu können: Wohn- und Schlafzimmer, Küche, einen breiten Flur und eine große Dusche. All das bietet ein FlyingSpace. Die Ausstattung kann ganz individuell gewählt werden. Selbstverständlich erfüllen die mobilen Minihäuser alle baurechtlichen Vorgaben und können sogar als Energie-Plus-Haus ausgeführt werden.
Rund fünf Monate nach dem Bemusterungstermin wird das fertige Hausmodul geliefert und mit einem Kran auf den gewünschten Standort gehievt.
Dort muss es nur noch angeschlossen werden.
Idyllisches Landleben oder urbane Nachverdichtung
Dagmar und Armin Kohler leben seit sechs Jahren in ihrem FlyingSpace auf der Schwäbischen Alb. Das große Familienhaus haben sie an ihren ältesten Sohn mit Familie übergeben und auf dem Grundstück ein Modulhaus erstellen lassen. So genießen sie ihre Privatsphäre – und gleichzeitig die Nähe zu ihrer Familie. „Wir können die Enkel aufwachsen sehen“, freuen sich die beiden.
Dagmar und Armin Kohler haben ihr Wohnhaus an ihren ältesten Sohn übergeben, ihre Habseligkeiten auf das Wesentliche reduziert und fühlen sich
in ihrem neuen Minihaus sehr wohl.
Heute sind sie froh, dass es nicht so weit gekommen ist. „Vor der Entscheidung, in einem Minihaus zu leben, muss man sich allerdings gründlich überlegen, was einem wichtig ist“, empfiehlt Armin Kohler. „Denn trennen muss man sich von vielem. Aber es hat auch Vorteile: Das Weniger ist mehr. Die liebgewonnenen Dinge bekommen eine größere Bedeutung.“ Außerdem sei der Aufwand fürs Putzen sehr überschaubar. Und das größte Plus des kleinen Hauses: „Es ist mobil. Wir können es einfach auf einen Transporter packen lassen und irgendwohin mitnehmen.“
Daniel Eisert und Kerstin Herrmann vermieten die beiden übereinander gestapelten FlyingSpaces ab dem kommenden Frühjahr als Ferienwohnungen. „alb space“ nennen sie ihr Projekt.
Das Büro von Architekt Jochen Schmid in Betzingen hat einen repräsentativen Anbau bekommen, mitten im Dorf erstellt, ohne Baustelle, Lärm und Dreck.
Ob Tiny Houses in absehbarer Zeit auch im Stadtbild von Tübingen auftauchen, bleibt abzuwarten. Bisher haben drei Eigentürmer Bereitschaft signalisiert, ihr Grundstück zu verpachten – vielleicht entstehen ja bald „Studentenbuden“ einer ganz besonderen Art.