Hasskriminalität

Hetzern auf der Spur

Techniker haben eine Falle entwickelt, damit Nutzer von sozialen Netzwerken bei einem Anfangsverdacht identifiziert werden können. Die Politik zeigt sich angetan.

31.07.2021

Von Katja Peters

Hass im Netz Foto: Montage Peters / Illustration: ©Jiw Ingka/shutterstock.com

Hass im Netz Foto: Montage Peters / Illustration: ©Jiw Ingka/shutterstock.com

In den sozialen Medien kann jeder seine Meinung kundtun. Diese Freiheit hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Auf Facebook, Youtube und Twitter ist der Ton oft rau, abwertend, beleidigend – und zum Teil strafrechtlich relevant. Solche Hasskriminalität im Netz wird immer mehr zum Problem, erst im vergangenen Jahr wurde die Gesetzeslage verschärft. Doch das Anliegen stößt immer wieder auf Hindernisse, wie die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zeigt, wonach Facebook solche Kommentare nicht einfach entfernen darf. Eines der Kernprobleme in der Strafverfolgung ist jedoch die Anonymität im Netz. Nicht selten laufen die Ermittler auf der Suche nach den Hetzern ins Leere, weil sie nicht wissen, wer hinter den Kommentaren steckt.

Wenn etwa der User „TeddyBear86“ eine junge Frau übel beleidigt, den Holocaust leugnet oder Volksverhetzung verbreitet, muss erst einmal ermittelt werden, wer hinter dem Account steckt – und das in sehr kurzer Zeit. Zwar kann man jeden Nutzer anhand der IP-Adresse erkennen, mit der er sich durch das Netz bewegt, doch diese wird nur eine Woche lang gespeichert. Danach kann keiner mehr nachvollziehen, wer was geschrieben hat.

Um das Problem zu lösen, wird in der Politik über eine Pflicht diskutiert, nur noch mit Klarnamen aufzutreten oder sich eindeutig kenntlich zu machen. Datenschützer und Netzpolitiker laufen allerdings Sturm dagegen.

Über lange Zeit schien es keinen Ausweg aus dieser festgefahrenen Lage zu geben. Doch das Patt könnte nun aufgelöst werden. Die sogenannte Login-Falle könnte eine simple und doch effektive Strafverfolgung ermöglichen, ohne den Datenschutz zu verletzen.

Beispiel: „TeddyBear86“ leugnet auf Facebook den Holocaust. Jeder, der den Post sieht, kann ihn mit einem Klick direkt an die Polizei melden. Dort wird die Meldung geprüft. Falls ein Anfangsverdacht auf eine strafrechtlich relevante Beleidigung vorliegt, fordert die Polizei Facebook auf, die Login-Falle scharf zu stellen. Das nächste Mal, wenn sich „TeddyBear86“ dann über einen Internetbrowser einloggt, schnappt sie zu. Die IP-Adresse wird der Polizei übermittelt.

Noch einfacher ist es, wenn der User die Facebook-App auf seinem Smartphone hat. In dem Fall können die Ermittler die IP-Adresse identifizieren. Der Telekommunikationsanbieter ist im Anschluss verpflichtet, der Polizei die sogenannten Stammdaten der zugehörigen IP-Adresse zu nennen, also Name und Anschrift. Das Resultat: „TeddyBear86“ muss mit einer Anklage rechnen und sich für seine Tat verantworten.

Henning Tillmann ist Co-Vorsitzender des digitalpolitischen Vereins D64 und war federführend an der Entwicklung der Login-Falle beteiligt. Er wolle gegen Hassverbrechen im Netz vorgehen und dabei möglichst keine Grundrechte verletzen, schildert er seine Motivation. Entscheidend ist für ihn, dass die Klardaten nur dann erhoben werden können, wenn es vorher einen überprüften Anfangsverdacht gibt: „99 Prozent der Internetnutzer begehen keine Hasskriminalität. Wir müssen nicht alle unter Generalverdacht stellen, um das eine Prozent der Täter zu verfolgen.“

Charmant an der Login-Falle sei zudem, dass für ihre Umsetzung wenig gesetzlich geändert werden müsse. „Die Rechtsgrundlagen sind größtenteils schon da“, sagt Tillmann, auch einige der benötigten Austauschmechanismen zwischen den Plattformen und den Strafverfolgungsbehörden gebe es bereits. Innerhalb eines halben Jahres könne es losgehen, sagt Tillmann: „Das ist alles keine Raketenwissenschaft.“

Gleichwohl gibt es Wege, der Falle zu entkommen. Sie sind nur nicht sonderlich praktikabel. Wer sich verstecken will, kann das Tor-Netzwerk benutzen, eine Software also, die eine Identifizierung der IP-Adresse nicht zulässt. Theoretisch könnte „TeddyBear86“ sich auch einen Wegwerf-Account zulegen, auf diesem beleidigen oder hetzen und sich dann nicht mehr einloggen. Das widerspricht allerdings dem Kerngedanken von sozialen Medien: Die Freunde und Follower sollen schließlich sehen, was man schreibt, deren Aufmerksamkeit ist ja die entscheidende Währung.

Würde technisch denn alles so funktionieren, wie Tillmann und D64 sich das vorstellen? Der Chaos Computer Club sagt auf Nachfrage, dass wenig dagegen spräche, dieses Vorgehen im Rahmen polizeilicher Ermittlungen anzuwenden.

Auch die Politik zeigt sich interessiert. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) brachte die Login-Falle kürzlich bei der Innenministerkonferenz spontan auf die Tagesordnung. Er sprach von einem „lohnenswerten, datensparenden Ansatz, der nur diejenigen ins Visier nimmt, die strafrechtlich in Erscheinung treten“. Thorsten Frei (CDU), einer der einflussreichsten Innenpolitiker im Bundestag, sieht die Login-Falle als „Schritt in die richtige Richtung“. Er unterstütze alles, was dazu führe, die Anonymität von Tätern aufzuheben.

Und die Social-Media-Riesen? Facebook wollte seine Position zur Login-Falle nicht kommentieren. Google, und damit auch Youtube, speichert bereits heute die IP-Adresse des letzten Logins – ein Mechanismus, der die Falle noch effektiver machen könnte.

Grafik: Peters Quelle: BMJV/CONPOLICY

Grafik: Peters Quelle: BMJV/CONPOLICY

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Erstellt:
31.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 31.07.2021, 06:00 Uhr

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