Weltethos als Arbeitskleidung

Heribert Prantl: Im Umgang mit Flüchtlingen beweisen sich die Werte

Ein leidenschaftliches Plädoyer für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen hielt der Journalist und Jurist Heribert Prantl in Tübingen. So konkretisierte der Redner zum 20-jährigen Bestehen der Stiftung Weltethos das Festmotto „Werte der Zukunft – Zukunft der Werte“.

03.12.2015

Von Gernot Stegert

Beim Festakt für die Stiftung Weltethos im Kupferbau (von rechts): Regierungspräsident Jörg Schmidt, Uni-Rektor Bernd Engler, Weltethos-Ideengeber und Ehrenpräsident Hans Küng, Stiftungspräsident Eberhard Stilz (mit Frau, teils verdeckt), Festredner Heribert Prantl, Journalistin Susanne Offenbach und Geldgeber Karl Schlecht. Bild: Metz

Beim Festakt für die Stiftung Weltethos im Kupferbau (von rechts): Regierungspräsident Jörg Schmidt, Uni-Rektor Bernd Engler, Weltethos-Ideengeber und Ehrenpräsident Hans Küng, Stiftungspräsident Eberhard Stilz (mit Frau, teils verdeckt), Festredner Heribert Prantl, Journalistin Susanne Offenbach und Geldgeber Karl Schlecht. Bild: Metz

Tübingen. Mit leicht gebeugtem Oberkörper, aber ungebeugtem und hellwachem Geist kam Prof. Hans Küng am Mittwoch in den rappelvollen Hörsaal 25 im Kupferbau. 20 Jahre zuvor war an gleicher Stelle die Stiftung Weltethos gegründet worden. „Ohne dich gäbe es die Weltethos-Idee und -Stiftung nicht“, dankte ihm Generalsekretär Stephan Schlensog. Stiftungspräsident Eberhard Stilz erinnerte an die Wirkung des mittlerweile 87-Jährigen: von inhaltlichen Impulsen bis zu Auftritten vor den Vereinten Nationen oder der Tübinger Weltethos-Rede. Stilz beschrieb die Herausforderung der Integration von Flüchtlingen. Sie könne nur auf der Basis gemeinsamer Werte gelingen: „Wir als Stiftung werden mehr denn je gefragt sein.“

Heribert Prantl, als meinungsstarker und wortgewaltiger Schreiber der „Süddeutschen Zeitung“ bekannt, hatte nicht nur Höflichkeiten parat, sondern identifizierte sich mit den Grundgedanken. „Weltethos – das ist ein großer, ein großartiger Name“. Als gehe es um Erhabenes. Aber: „Weltethos ist nicht der Frack, in den man zu feierlichen Anlässen schlüpft.“ Eher Arbeitskleidung. Es gehe um das Alltägliche, um das Miteinander von Menschen, Gruppen, Religionen, Staaten, um Frieden, Respekt, Fairness, Gerechtigkeit und mehr. „Jede Tagesschau, jede digitale oder analoge Zeitungsausgabe zeigt, wie nötig das ist.“

„Einigkeit, Respekt und Freiheit. Bürgertugenden in einem Integrationsland“, hieß der Vortrag. Das Recht klammerte der Jurist nicht aus, es sei Grundlage. Bewusst setzte Prantl kein Fragezeichen hinter „Integrationsland“. Ob Kriegsflüchtlinge, so genannte Wirtschaftsflüchtlinge oder Klimaflüchtlinge: „Es ist nicht nur das Problem des Herbstes 2015, sondern die Herausforderung des 21. Jahrhunderts.“ Seine eigene Branche kritisierte er: „Man kann das Kippen der Stimmung auch herbeireden, -schreiben, -senden.“ Und grundsätzlicher: „Wir brauchen keine Stimmungen, sondern Werte.“ Prantl warb für das Leben von Weltethos als „kleiner Widerstand“ im Alltag: für Zivilcourage, Hinschauen bei Unrecht, Schulprojekte, Kirchenasyl und vieles mehr. Politik und Verwaltungen müssten ihren Teil tun: schnell handeln.

Enttäuscht zeigte sich der überzeugte Europäer, dass andere EU-Staaten kaum Flüchtlinge aufnehmen: „Wenn Europa die Werte nichts mehr wert sind, dann ist Europa nichts mehr wert.“ Ein Satz, der Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer als Zuhörer „einen Schrecken einjagte“, wie er auf Facebook schrieb und den Spieß umdrehte: „Das europäische Einigungswerk ist so wichtig, dass wir auf gar keinen Fall mit deutschem Moralrigorismus seine Zerstörung in Kauf nehmen oder gar betreiben dürfen.“ Prantl aber wollte nicht die EU aufgeben, sondern „das Egoisten-Konglomerat“ wieder zur Union machen, durch Besinnung auf die Grundlagen Einigkeit schaffen. Polen und Ungarn warf Prantl „Hochverrat an den europäischen Werten“ vor.

Leise Töne schlug der 62-Jährige an, als er vom guten Tod seiner Großmutter in der Großfamilie und von der Suche nach einem Pflegeheim für seine Mutter erzählte. Dann aber beklagte er die „Abschiebung“ und „Entsorgung“ von alten Menschen. „Ein System, das sich nicht um die Alten kümmert, ist selber dement.“ Prantl formulierte den „gerontologischen Imperativ“: „Pflege die Menschen so, wie du selbst gepflegt werden willst.“

Sehr langer starker Applaus war der Lohn für eine auch rhetorisch gesalzene Rede. Wie eine Zugabe wirkten da ein paar geplante Nachfragen der Journalistin Susanne Offenbach. Habe Prantl nicht gegen Europa gezündelt? Ein empörtes Nein war die Antwort. Auf die Frage nach dem Syrieneinsatz der Bundeswehr sagte Prantl: „Krieg ist nicht das Mittel, um Frieden zu schaffen.“

Für entspannte Töne sorgte die Fusion-Band der Tübinger Musikschule mit mehreren Stücken.

Erklärung der Stiftung Weltethos

Die Stiftung Weltethos veröffentlichte am Mittwoch unter dem Titel „Nur das Miteinander hat Zukunft“ eine Erklärung. Anlass sind die Terroranschläge und die vielen Flüchtlinge. Darin heißt es: „Einheit in Vielfalt braucht ein gemeinsames ethisches Fundament.“ Das sei alltäglich zu leben „in Kindergärten und Schulen, an den Universitäten und Hochschulen, am Arbeitsplatz und in Unternehmen, in Behörden und sozialen Einrichtungen, in den Freizeitvereinen, in den Begegnungen des Alltags. Die Stiftung Weltethos appelliert an alle Menschen, sich nicht von Angst, Hass, Vorurteilen und Feindbildern bestimmen zu lassen.“