Privatsphäre

Ist der Datenschutz Hemmschuh oder Sündenbock?

Kritiker machen den Datenschutz für mangelnden Fortschritt in der Pandemiebekämpfung verantwortlich. Stimmt das?

15.02.2021

Von IGOR STEINLE

Viele Nutzer legen großen Wert auf Datenschutz. Foto: ©Trismegist san/shutterstock.com

Viele Nutzer legen großen Wert auf Datenschutz. Foto: ©Trismegist san/shutterstock.com

Berlin. Wer ist schuld, dass die Pandemie noch immer nicht im Griff ist? Viele Stimmen haben zuletzt den Datenschutz als Verantwortlichen ausgemacht. „Während die anderen Grundrechte massiv eingeschränkt werden, darf es am Datenschutz in Deutschland keinerlei Abstriche geben“, sagt der Philosoph Julian Nida-Rümelin. Selbst die Kanzlerin behauptete kürzlich, Israel impfe schneller, weil man dort „in ganz anderer Weise mit Daten“ umgehe.

Stimmt das? Behindert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Fortschritt? Oder muss es als Sündenbock für andere Versäumnisse hinhalten? Klar scheint: Spätestens seitdem die EU den Datenschutz mit einer Grundverordnung (DSGVO) ins digitale Zeitalter gehievt hat, steigt in Unternehmen der Unmut. Laut einer Umfrage des Digital-Verbands Bitkom sind bei mehr als der Hälfte der befragten Firmen Innovationen aufgrund der DSGVO gescheitert, „entweder wegen direkter Vorgaben oder wegen Unklarheiten in der Auslegung der DSGVO“.

Nachfrage beim Verband: Steht der Datenschutz der Zukunft im Weg? „So pauschal kann man das nicht sagen“, sagt Rebekka Weiß, Leiterin der Abteilung „Vertrauen und Sicherheit“. „Er hilft an vielen Stellen auf jeden Fall nicht.“ Weiß bemängelt die große Verunsicherung, die aufgrund des komplexen Regelwerks besteht. Zudem würden in der öffentlichen Debatte eher die Risiken als die Chancen von Datennutzung hervorgehoben, sagt sie. Eine bessere Balance sei hier nötig, wie gerade bei der Verwendung von Videosoftware an Schulen deutlich geworden sei. „Es gab kein klares Statement, was nötig und möglich gewesen wäre.“ Stattdessen nur, was nicht gehe. Das größte Problem sei jedoch, dass die Modernisierung der Schulen seit Jahren vernachlässigt wurde, was sich in der Pandemie nun gerächt hat.

Unternehmen sind verunsichert

Mit dieser Ansicht ist der Bitkom gar nicht so weit weg vom Bundesdatenschutzbeauftragten. Er wäre froh, wenn „langsame analoge Prozesse durch gut gemachte digitale Lösungen“ ersetzt würden, schrieb Ulrich Kelber (SPD) kürzlich in einem Gastbeitrag, in dem er eine „populistische Debatte“ kritisierte, die von Versäumnissen in Sachen Digitalisierung ablenken soll. Denn konkret sagen, was sich denn genau ändern solle, würden die Kritiker nicht.

Stattdessen scheinen selbst Landesbehörden sich im Datenschutzrecht nicht auszukennen. Als etwa das niedersächsische Gesundheitsministerium sich vor kurzem beschwerte, man könne die über-80-jährigen Impfwilligen nicht informieren, weil man nicht auf Melderegister zugreifen dürfe, löste das Kopfschütteln bei Juristen aus: Natürlich sei das möglich.

Kelber betont hingegen, wie sehr man den Behörden entgegenkomme: Weitreichende Gesetzesänderungen seien vorgenommen worden, um Datenverarbeitung und -austausch in Gesundheitsämtern zu verbessern. Datenerhebungen im Restaurant seien ermöglicht worden. „Seit Ausbruch der Pandemie gab es keine einzige konkrete Maßnahme, die mir von der Regierung vorgelegt wurde, die am Datenschutz gescheitert wäre“, sagt er.

Dafür hat Kelber andere Projekte auf dem Kieker, die die öffentliche Verwaltung in Deutschland voranbringen sollen. So sollen mit der elektronischen Patientenakte Arztberichte und Befunde von Patienten künftig über eine zentrale Software digital gespeichert werden. Durch die Modernisierung der Verwaltungsregister sollen verschiedene Datentöpfe wie etwa Melderegister und KFZ-Datenbanken, die bisher dezentral gespeichert werden, unter der Steuer-ID jedes Bürgers vernetzt werden. Wie bei der Patientenakte würden viele, für alle Beteiligten nervtötende Schritte wegfallen. Gegen beide Projekte trägt Kelber Einwände vor. Verhindert der Datenschutz also doch den Fortschritt?

Anruf im Bundestag. Der Vorsitzende des Digitalausschusses, Manuel Höferlin, selbst IT-Unternehmer, ist mit den Hemmnissen des Bürokratismus bestens vertraut. Dass der Datenschutz den Projekten im Weg stehen würde, sieht er dennoch nicht. „Mag sein, dass Innovationen ohne Datenschutz schneller entstehen. Die Nachteile zeigen sich später“, sagt der FDP-Politiker: Nutzer lehnen staatliche Anwendungen ab, wenn kein ausreichendes Datenschutzniveau gewährleistet wird. Sowohl die elektronische Patientenakte als auch moderne Register könnten datenschutzkonform modernisiert werden, ist Höferlin überzeugt. In Estland etwa verliert ein Arzt seine Zulassung, wenn er unerlaubt auf Daten zugreift, was die Befürchtung der Datenschützer ist. Und die Österreicher konnten ihre Register ohne zentrale ID digitalisieren.

Auch bei der Corona-App sei nicht der Datenschutz das Problem, sondern der steinzeitliche Zustand des Gesundheitswesens hinter der App. Wäre man das Problem fehlender Leitungen, Schnittstellen und Know-Hows in der Verwaltung früher angegangen, wäre auch der Datenschutz heute kein Thema. Und die Pandemie womöglich schneller im Griff.