Fußball

Heiß begehrt und schnell fallen gelassen

Für Spitzentrainer werden mittlerweile hohe Ablösesummen gezahlt. Weniger prominente Coaches müssen weiterhin auf einem Schleuderstuhl Vorlieb nehmen.

11.05.2021

Von GEROLD KNEHR

Wollen sich beide verbessern: Die Trainer Hansi Flick (links) und Julian Nagelsmann. Foto Ammegret Hilse/afp Foto: Annegret Hilse/afp

Wollen sich beide verbessern: Die Trainer Hansi Flick (links) und Julian Nagelsmann. Foto Ammegret Hilse/afp Foto: Annegret Hilse/afp

Ulm. Auf den ersten Blick hat sich nichts geändert: Trainer in der Fußball-Bundesliga zu sein, das bedeutet für den Stelleninhaber oft: „Mein Arbeitsplatz ist ein Schleudersitz.“ 13 Coaches und Interimstrainer wurden in der laufenden Erstligasaison entlassen, angefangen von David Wagner, für den Ende September bei Schalke 04 Schluss war, bis hin zu Markus Gisdol und Heiko Herrlich, die den launischen April beim 1. FC Köln und beim 1. FC Augsburg nicht überstanden. Bei Absteiger Schalke waren in der Saison 2020/21 außer Wagner auch noch Manuel Baum, Huub Stevens, Christian Gross und aktuell Dimitrios Grammozis erfolglos tätig.

Doch mittlerweile schlägt das Imperium zurück. Die Spitzenkräfte der Fußballbranche handeln inzwischen lieber selbst, bevor sie schlecht behandelt werden. Hansi Flick (FC Bayern), Julian Nagelsmann (RB Leipzig), Adi Hütter (Eintracht Frankfurt) und Marco Rose (Borussia Mönchengladbach) verlassen zum Saisonende freiwillig ihre Klubs. Von den Bundesligisten, die momentan auf Platz eins bis sieben der Tabelle stehen, bekommen nach derzeitigem Stand sechs in der neuen Runde einen neuen Coach.

An Ablösesummen für Spieler bis zu einem dreistelligen Millionenbereich hat man sich mittlerweile gewöhnt. Jetzt nehmen auch Zahlungen für wechselwillige Trainer bislang ungeahnte Höhen an.

Den Anfang machte Marco Rose im Februar. Er nutzte eine Ausstiegsklausel und wird fünf Millionen Euro im Sommer von Borussia Mönchengladbach zum BVB nach Dortmund wechseln. Gladbachs Manager Max Eberl reagierte, indem er für sieben Millionen Adi Hütter von Eintracht Frankfurt loseiste. Auch der Österreicher hatte in seinem Vertrag bei den Hessen eine Ausstiegsklausel.

Ein solcher Vertragsbestandteil ist nicht unproblematisch, er kann die Position eines Trainers schwächen. „Jemandem, der mit Ausstiegsklausel auf dieser Schlüsselposition signalisiert, dass er bei nächster Gelegenheit weg möchte, räumt der Verein natürlich von Anfang an weniger Mitspracherecht bei der Kadergestaltung ein“, weiß der erfahrene Fußball-Manager Andreas Rettig (früher u. a. Geschäftsführer der DFL und Manager beim SC Freiburg und FC Augsburg).

Anders sieht dies Sven Mislintat, Sportdirektor des VfB Stuttgart: „In den meisten Trainerverträgen gibt es Abfindungsregelungen für den Fall des Misserfolgs. Daher finde ich es legitim, wenn ein Trainer nach einer Ausstiegsklausel für den Fall der erfolgreichen Zusammenarbeit fragt.“ Auch Pellegrino Matarazzo, der Trainer des VfB Stuttgart, hat eine solche Klausel.

Nicht so Hansi Flick und Julian Nagelsmann. Der bisherige FC-Bayern-Trainer bat die Chefs des alten und neuen deutschen Meisters nach internen Zwistigkeiten um die Auflösung seines laufenden Vertrages, um nach der Europameisterschaft im Sommer aller Voraussicht nach Joachim Löw als Bundestrainer abzulösen. Die Münchner wiederum nahmen viel Geld in die Hand und lösten für bis zu 25 Millionen Euro Nagelsmann aus dessen Kontrakt mit RB Leipzig. Und erfüllten nebenbei ihrem 33 Jahre jungen künftigen Coach einen Lebenstraum: Er war schon als Kind ein Bayern-Fan.

Höheres Standing

Dass für Spitzentrainer ähnlich wie für Top-Spieler auch weiterhin hohe Ablösen gezahlt werden, ist wahrscheinlich. „Im besten Fall macht der Trainer jeden Spieler des Kaders besser. Insofern ist es eine kluge unternehmerische Entscheidung, viel Geld in diese Personalie zu investieren“, findet Rettig.

„Lange haben die Spieler überproportional mehr verdient und auch mehr Ablöse gekostet. Das Standing eines Trainers, der Topstars führen soll, wird automatisch erhöht, wenn ein Verein viel Geld investiert“, sagt Augsburgs neuer alter Coach Markus Weinzierl.

Markus Babbel, derzeit ohne Job, geht mit den Kollegen, die sich zu zunächst zu ihrem Verein bekennen, ihn dann aber plötzlich verlassen, hart ins Gericht: „Mir geht da einiges auf den Zeiger. Mir fehlt die Ehrlichkeit, es wird nur noch rumgeeiert. Ich kann ja nichts mehr glauben, was gesprochen wird“, sagt der Ex-Nationalspieler.

Für diejenigen Trainer, die in der Hierarchie nicht ganz oben stehen, wird sich in Zukunft jedoch nicht viel ändern. Das Prinzip Heuern und Feuern wird auch künftig gelten.

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Erstellt:
11.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 11.05.2021, 06:00 Uhr

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