Gute Nacht?

Über gestörten Schlaf und endlose Feierei wird in Tübingen viel gestritten

Kathrin Kammerer machte einen nächtlichen Rundgang durch die Stadt, sprach mit den Feiernden und versucht eine Annährung an die Probleme mit den Anwohnern.

04.08.2018

Von Kathrin Kammerer

Die Mühlstraße freitags, um 1 Uhr nachts: Rechts warten junge Erwachsene auf den Einlass ins Schwarze Schaf, links, vor dem Wohnzimmer, dem Hot-Dog-Laden, dem Last Resort und dem Iss-was-Dönerladen stehen Menschentrauben. Bild: Kammerer

Die Mühlstraße freitags, um 1 Uhr nachts: Rechts warten junge Erwachsene auf den Einlass ins Schwarze Schaf, links, vor dem Wohnzimmer, dem Hot-Dog-Laden, dem Last Resort und dem Iss-was-Dönerladen stehen Menschentrauben. Bild: Kammerer

Es ist 21.30 Uhr an diesem warmen Freitagabend. Am Zinserdreieck sitzen grüppchenweise junge Erwachsene auf Bänken, sie lachen und unterhalten sich ausgelassen. Vor ihnen stehen Wein- und Bierflaschen. Ein wenig weiter liegt ein leerer Karton auf dem Boden, in dem einst Mini-Schnäpse waren.

22 Uhr: Im Alten Botanischen Garten (Bota) sitzen Menschen-Gruppen im Gras, manche hören Musik aus kleinen Boxen. Auch Alexandra, Sebastian und Richard trinken hier schon seit drei Stunden Sekt und Wein. Es ist ein ganz normaler Wochenend-Abend für die drei Freunde: „Man kauft sich seine Getränke selbst und trinkt daheim oder im Bota etwas“, sagt Alexandra. „Das ist billiger und man will ein bisschen angetrunken sein, wenn man in den Club geht.“

Von der Lärmdebatte in der Mühlstraße haben die drei nichts mitbekommen. „Naja, der Club 27 oder das Kuckuck sind ja viel zu weit weg“, sagt Alexandra. „Wo soll man denn sonst hin?“ Sebastian ist in Tübingen aufgewachsen und fürs Studium nach Berlin gezogen: „Ich verstehe auf der einen Seite, dass die Anwohner genervt sind“, sagt er. „Aber: Tübingen ist eine kleine Studentenstadt, da kannst du eben auch nicht alles nach außen verlagern.“ Die, die jetzt meckern, vermutet er, „das sind sicher die, die vor 30 Jahren genauso steil gegangen sind“. Richard findet noch deutlichere Worte: „Wenn man in die Altstadt zieht, dann muss man damit rechnen, dass es laut wird.“

Muss man das? Ist der Lärm dort wirklich unerträglich oder sind die, die sich beschweren, einfach zu pingelig? Hundert Meter weiter sitzt eine Gruppe Austauschstudenten im Gras. „Es gibt ja nur die Mühlstraße in Tübingen“, sagt ein Tscheche achselzuckend. „Wir haben von den Deutschen gehört, dass die Mietpreise in der Innenstadt sehr hoch sind“, ergänzt sein belgischer Freund. „Wenn man sich für so eine Wohnung entscheidet und dann über Lärm meckert, ist das etwas merkwürdig“, findet er.

Die Menschen, die im Bota vorgetrunken haben, ziehen langsam in die Innenstadt. Vor dem Collegium steht um 23 Uhr eine große Menschentraube. Wenig verwunderlich: Wenn es sogar draußen noch 25 Grad hat, dann setzt sich keiner freiwillig ins Innere einer Gaststätte. Collegium-Türsteher Enes beobachtet die Draußensteher an den Wochenend-Abenden von 22 bis 4 Uhr morgens. Wann ist es zu laut? Wann greift er ein? „Ich versuche mich in die Menschen reinzuversetzen, die hier wohnen“, sagt er. „Und wenn manche zu laut werden, dann weise ich sie erst freundlich drauf hin.“ Meistens funktioniert seine nette Mahnung kurz. Dann vergessen besonders die stark Betrunkenen aber auch schon wieder, dass es in der Collegiumsgasse auch Nachbarn gibt. Was passiert, wenn die eben Ermahnten wieder laut werden? „Nach drei Versuchen bin ich nicht mehr so freundlich“, sagt Enes. „Und sage ihnen, dass sie sich vom Laden entfernen sollen.“

In der Menschentraube steht David. „Klar, die Mühlstraße ist schon sehr belebt, chaotisch und auch gefährlich“, sagt er. Eine Lösung zu finden, die beide Seiten zufriedenstellt? „Wirklich schwierig“, sagt der 24-Jährige. Er studiert in München: „Da zeigen die Türsteher mehr Präsenz auf der Straße und haben mehr Autorität – und das wirkt auch meistens.“

Um 23.15 Uhr sitzen auf der Stiftskirchen-Treppe rund 200 Menschen. Da muss der einzelne nicht mal besonders laut sein – die schiere Menge sorgt für einen ordentlichen und vor allem permanenten Geräusch-Grundpegel. Um 23.30 Uhr betreten drei junge Männer und eine junge Frau das Asmara. Zuvor deponieren sie eine halbleere Wein- und eine halbleere Sektflasche vor der Cocktailbar. Warum bringt man Alkohol mit in die Stadt? Erneut das oft gehörte Argument: „Ist halt billiger, und das machen alle so.“

Um 23.45 Uhr zeigt das Thermometer immer noch 23 Grad. Die Außenbestuhlungen auf dem Marktplatz sind voll besetzt. Vor dem Ranitzky sitzen Rolf und Caroline, ein älteres Ehepaar. Die beiden wohnen seit zehn Jahren direkt am Marktplatz und scheinen die Situation pragmatisch zu lösen: Sie begeben sich einfach selbst mitten ins Getümmel. „Man hört schon ab und zu etwas nachts“, sagt Rolf. „Aber das bringt uns jetzt nicht um den Schlaf. Und außerdem ist das doch okay, es herrscht Leben hier.“ Seine Frau ergänzt: „Als wir hergezogen sind, war uns das bewusst.“ Nur die Gröler und Flaschen-durch-die-Gegend-Kicker am frühen Morgen, die nerven manchmal, sagt sie: „Das ist ja auch einfach sinnlos.“ Haben Rolf und Caroline eine höhere Lärm-Toleranz? Oder ist am Marktplatz nachts weniger los? Die beiden stören sich mehr an den vielen Touristen und an den Straßenmusikanten, sagen sie mit Augenzwinkern.

Um 0.30 Uhr sitzen Anna und Dominik auf einer Bank auf der Platanenallee. Sie hören Musik aus einer kleinen Box. „Wir ziehen uns ja extra hierher zurück“, sagt Anna. Dominik wohnt in einem Dorf bei Hechingen. „Da hört man nachts höchstens die Vögel“, witzelt er. „Und in Hechingen ist tote Hose.“ Also treffen sich die Schulfreunde eben in Tübingen. Des einen Freud‘, des anderen Leid: „Hier ist ja immerhin was geboten.“

Um 1 Uhr herrscht auf der Mühlstraße reges Treiben, rund 200 Menschen stehen hier. Die einen warten am Schwarzen Schaf auf Einlass, die anderen stehen vor den Läden auf der Ostseite. Mit der Straßenverkehrsordnung scheinen es einige nicht mehr ganz ernst zu nehmen: Sie wechseln, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, die Straßenseite, stehen auf dem Fahrradweg oder auch auf der Fahrbahn. Ein Fahrrad-Fahrer, der die Mühlstraße hinab saust, weicht mit einem gewagten Schlenker einem Bus aus, zwei junge Männer haben Musik-Boxen im Rucksack und sorgen so für zusätzliche Geräusche. In der Mühlstraße brennt noch in genau einem Fenster Licht.

Um 1.30 Uhr sind Annelie, Julia und Luca auf dem Weg zum Schwarzen Schaf. Annelie ist zu Besuch in Tübingen, sie übernachtet bei einer Freundin in der Haaggasse: „Als ich das letzte Mal hier war, sind wir um 4 Uhr ins Bett“, sagt sie. „Und da war es immer noch extrem laut. Betrunkene haben Sperrmüll durch die Gegend geworfen.“ Julia hat früher in der Clinicumsgasse gewohnt. „Ich verstehe, dass der Lärm nervt“, sagt sie. „Aber dann darf man nicht in die Innenstadt ziehen.“

Luca sieht das anders. Das seien auch viele ältere Menschen, die schon lange hier wohnen, gibt sie zu bedenken: „Für die ist es geschickt, so zentral zu wohnen. Da kann man ja nicht sagen, sie sollen einfach umziehen.“

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Nachtleben in der Mühlstraße

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Ist halt eine Studentenstadt. Sollen die, die's stört, halt wegziehen.
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Nachtleben auch Thema im Gemeinderat

Auch im Gemeinderat war die Mühlstraße bei Nacht Thema. Auf eine Anfrage der Tübinger Liste sagte Bürgermeisterin Christine Arbogast, dass es seit Anfang Juni keine Beschwerden von Anwohnern mehr gab. Im Gespräch mit den Wirten in der Straße habe man Mitte Juni nach Lösungen für die Ruhestörungen gesucht. Nun wird kein Alkohol mehr zum Verzehr auf der Straße verkauft. Außerdem soll demnächst ab 22 Uhr ein absolutes Halteverbot für Autos auf der Mühlstraße gelten. Auch Geschwindigkeitsbegrenzungen werde man prüfen, so die Stadtverwaltung.

In der Antwort ist zudem die Rede von einem verlängerten Absperrgitter vor dem Schwarzen Schaf. Man will die jungen Erwachsenen so daran hindern, zu leichtfertig die Straße zu überqueren. Schaf-Besitzer Dimitris Katsaras sagt, er habe vorgeschlagen, den Bordstein unterhalb des Schaf-Eingangs mit Blumentöpfen zu „blockieren“. So können sich keine Partygänger mehr dort hinsetzen und den Straßenverkehr gefährden. Katsaras sagt, er habe seine Türsteher angewiesen, Partygänger von diesem Bordstein-Abschnitt wegzuschicken.

Eine weitere, von Arbogast präsentierte Maßnahme: Die Wirte auf der Ostseite der Mühlstraße schicken am Wochenende zwei Mitarbeiter auf die Straße, die verhindern, dass Alkohol mit ins Freie genommen wird. Diese sollen mit auffälligen Ruhestörern reden oder mit solchen, die Musikboxen dabei haben. Zumindest am Reportage-Freitag waren diese Aufpasser nicht zu sehen.

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Erstellt:
04.08.2018, 01:01 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 01sec
zuletzt aktualisiert: 04.08.2018, 01:01 Uhr

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