Untersuchung auch im Kreis Tübingen

Reichsbürger-Razzia in Reutlingen: SEK-Beamter durch Schuss verletzt

In der Reutlinger Ringelbachstraße ist eine Durchsuchung im Reichsbürger-Milieu aus dem Ruder gelaufen. Eine Person wurde verletzt. Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) war vor Ort. Eine Durchsuchung gab es auch im Kreis Tübingen.

22.03.2023

Von Thomas de Marco, Moritz Hagemann, Jonas Bleeser

Polizeieinsatz in der Reutlinger Ringelbachstraße nach den Schüssen bei einer Durchsuchung im Reichsbürger-Umfeld. Bild: Ulmer

Polizeieinsatz in der Reutlinger Ringelbachstraße nach den Schüssen bei einer Durchsuchung im Reichsbürger-Umfeld. Bild: Ulmer

Großeinsatz in der Ringelbachstraße kurz nach 6 Uhr morgens: Nachbarn haben einen Schuss gehört, wenig später fahren Einsatzfahrzeuge aus allen Richtungen zu dem Haus an der Ecke mit der Peter-Rosegger-Straße. Die Polizei hat das Areal um den Einsatzort weiträumig abgesperrt, lässt niemanden durchfahren. Auch eine schwarze Limousine muss abstoppen, ein Mann steigt aus und zeigt seinen Dienstausweis vor: Bundesanwaltschaft. Dann darf er durch und lässt sich mit hoher Geschwindigkeit und Blaulicht zum Tatort fahren.

Auch am späteren Vormittag sind viele Menschen in der Nachbarschaft verunsichert und fragen sich, was die Polizeisperren sollen. Immer wieder fahren nicht sofort als Einsatzfahrzeuge erkennbare graue und weiße Autos mit Stuttgarter Kennzeichen und Blaulicht von der Bundesstraße B 28 kommend durch den Stadtteil Hohbuch ins Viertel am Fuße des Georgenbergs.

Auf den Parkplätzen zweier Supermärkte in Sichtweite kaufen manche ganz normal ein. Aber es stehen auch meist ältere Ringelbach-Bewohner in kleinen Gruppen zusammen und spekulieren, was wohl der Grund für die starke Polizeipräsenz sein könnte (mehr dazu, wie Anwohner den Einsatz erlebten, finden Sie hier).

Inzwischen ist klar: Ein SEK-Beamter ist bei einer Durchsuchung im Reichsbürger-Milieu von einem Schuss getroffen worden, er schwebt jedoch nicht in Lebensgefahr. Das bestätigte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft dem TAGBLATT. Das Opfer wurde ins Reutlinger Steinenberg-Klinikum gebracht.

SEK-Beamter bei Reichsbürger-Razzia in Reutlingen angeschossen

In der Reutlinger Ringelbachstraße ist am Mittwoch, 22. März, eine Durchsuchung im Reichsbürger-Milieu aus dem Ruder gelaufen. Ein SEK-Beamter wurde verletzt. Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Bürgermeister Thomas Keck (SPD) kamen zum Tatort.
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Bild: Markus Ulmer
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Bild: Thomas de Marco
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Bild: Jonas Bleeser
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Der Tatverdächtige galt nach Angaben des Sprechers zunächst als Zeuge in der Reichsbürger-Sache, die Beamten erhofften sich demnach, in seiner Wohnung Beweismittel zu finden. Nun wird der Beschuldigte Markus L. am Mittag dem Haftrichter vorgeführt. Gegen ihn ermittelt der Generalstaatsanwalt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes.

Eine Zusammenfassung und was über den Schützen bekannt ist, lesen Sie hier.

Bereits Anwohner hegten am Einsatzort gegenüber dem TAGBLATT den Verdacht, dass dort ein Reichsbürger wohnen könnte und berichten von einem Schuss, der gefallen sei. Kurz nach 6 Uhr habe es einen lauten Knall gegeben, einige Zeit später seien weitere Einsatzkräfte eingetroffen, berichtete ein Nachbar.

Bundesanwaltschaft: So kam es zum Schuss

Am Nachmittag gab die Bundesanwaltschaft bekannt, wie es zu dem Schuss gekommen sein soll. Als die Polizisten in die Wohnung des Mannes eindrangen, hätten sie laut gerufen, dass sie von der Polizei sind. Im Wohnzimmer seien sie dann auf Markus L. getroffen, der „eine großkalibrige Schusswaffe“ auf die Beamten gerichtet habe. Der wiederholten Aufforderung, die Waffe wegzulegen, sei er nicht gefolgt. Es kam zu einem Schusswechsel zwischen den Einsatzkräften und dem Beschuldigten. Dabei wurde ein Polizeibeamter von einem Schuss in den Arm getroffen.

Viel Verunsicherung im Viertel

Weil Polizei und Bundesanwaltschaft zunächst keine Angaben zur Sache machten, herrschte viel Verunsicherung. Unter anderem wurden Kinder auf dem Schulweg vom massiven Polizeiaufgebot überrascht.

Gegen 11 Uhr gab es außerdem mehrere kontrollierte Sprengungen kleinerer Art durch die Einsatzkräfte, zuvor hatten die Beamten das Gebäude mit einem Sprengstoff-Roboter durchsucht. Hintergründe dazu sind noch offen, möglicherweise beseitigten die Einsatzkräfte noch aufgefundene Kampfmittel.

Innenminister Strobl eilt zum Tatort

Wenig später traf auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) in der Ringelbachstraße ein. Er warnte eindringlich vor der Szene und kündigte ein weiteres konsequentes Vorgehen an. „Das sind staatsfeindliche, sehr gefährliche, gewaltbereite Leute, die auch eine hohe Waffenaffinität haben“, sagte der CDU-Politiker bei seinem Besuch des Tatorts.

Innenminister Thomas Strobl (mit Krawatte in der Bildmitte) und Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck (links daneben) machen sich ein Bild der Lage. Bild: Ulmer

Innenminister Thomas Strobl (mit Krawatte in der Bildmitte) und Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck (links daneben) machen sich ein Bild der Lage. Bild: Ulmer

Reaktionen aus der Bundesregierung

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) drängt auf eine Verschärfung des Waffenrechts. „Wir müssen diese Extremisten konsequent entwaffnen. Dafür brauchen wir dringend die Verschärfungen des Waffenrechts, die ich vorgeschlagen habe“, sagte sie am Mittwoch in Washington laut einer Mitteilung ihres Ministeriums.

Auch der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) meldete sich per Twitter zu Wort. Mit Blick auf den Schuss in Reutlingen erklärte er: „Das zeigt, wie gefährlich die Einsätze sind. Die Waffenbehörden sind verpflichtet, Reichsbürger zu entwaffnen.“

Die Durchsuchung hing laut der Karlsruher Behörde zusammen mit den Reichsbürger-Razzien vom 7. Dezember, als 25 Personen festgenommen worden sind, unter anderem gab es damals zwei im Raum Rottenburg (mehr dazu hier: „Reichsbürger-Razzia: Um 6 Uhr früh die Haustür aufgesprengt“ und hier: „Zweite Reichsbürger-Festnahme im Kreis war in Rottenburg“). Am heutigen Mittwoch seien nun mehr als 20 Objekte in acht Bundesländern sowie in der Schweiz durchsucht worden, sagte der Sprecher. Im Fokus stünden fünf Beschuldigte und 14 Zeugen.

Einsatz auch in Tübingen

Neben der eskalierten Durchsuchung in Reutlingen gab es demnach auch drei weitere Razzien im Reichsbürger-Milieu in Baden-Württemberg. Eine davon fand nach Angaben des Sprechers der Bundesanwaltschaft im Kreis Tübingen statt. Auch dabei sei ein Zeuge betroffen, kein Tatverdächtiger. Die weiteren Untersuchungen gab es im Kreis Rottweil sowie in Stuttgart.

Die für die Region zuständige Polizei in Reutlingen gibt zu den Razzien keine Auskunft, die Karlsruher Bundesanwaltschaft ist verantwortlich. Sie wird nach eigenen Angaben tätig „bei der Verfolgung von Staatsschutzdelikten und bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch“.

Nächste großangelegte Aktion gegen Reichsbürger

Anfang Dezember hatte es eine großangelegte Anti-Terror-Razzia gegen Reichsbürger in mehreren Bundesländern, Österreich und Italien gegeben. Damals waren 25 Männer und Frauen festgenommen worden. In diesem Verfahren ermittelte die Bundesanwaltschaft außerdem gegen 30 weitere Menschen. Es hatte immer geheißen, es sei nicht ausgeschlossen, dass im Laufe der Zeit mehr Beschuldigte hinzukommen. Reichsbürger sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu, 2000 mehr als im Vorjahr.

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Erstellt:
22.03.2023, 09:20 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 45sec
zuletzt aktualisiert: 22.03.2023, 09:20 Uhr

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