Rassismus

Große Pläne, kleinregiert

Berlin wollte viel tun im Kampf gegen Rechts. Doch Gesetze werden von der Unionsfraktion blockiert – trotz Zustimmung des CSU-Innenministers.

14.05.2021

Von ELLEN HASENKAMP, DOMINIK GUGGEMOS

Umfangreich sind die Ziele der schwarz-roten Koalition im Kampf gegen Rechts. Doch umgesetzt wurde bisher nicht viel. Foto: Stephanie Pilick/dpa

Umfangreich sind die Ziele der schwarz-roten Koalition im Kampf gegen Rechts. Doch umgesetzt wurde bisher nicht viel. Foto: Stephanie Pilick/dpa

Berlin. Vor mehr als einem Jahr wurde das Ganze zur Chefsache: Aufgeschreckt durch die Morde in Hanau und Halle sowie an dem CDU-Politiker Walter Lübcke richtete die Bundesregierung einen eigenen Kabinettsausschuss für den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein. Die beteiligten Ministerien vereinbarten schließlich 89 Einzelmaßnahmen – von Änderungen am Verfassungsschutzrecht bis hin zu einem rund um die Uhr besetzten Hilfetelefon. Mit dem nun verabschiedeten Abschlussbericht ist die Arbeit des Kabinettsausschusses offiziell beendet.

Bei der Realisierung der Pläne aber hakt es. „Der Stand der Umsetzung des Maßnahmenpakets ist total unbefriedigend, vor allem, weil wir nur noch drei Sitzungswochen des Bundestags haben, um etwas zu beschließen“, kritisiert die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic. Selbst Vorzeige-Vorhaben wie das Demokratiefördergesetz und die Streichung des Begriffs „Rasse“ aus dem Grundgesetz kommen nicht recht voran. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, mahnt gegenüber dieser Zeitung, die beschlossenen Maßnahmen nun rasch umzusetzen. „Vor allem dürfen sie nicht in der Schublade verschwinden, wenn die Legislaturperiode endet.“ Von den bisherigen Ergebnissen ist er enttäuscht: „Bislang sind leider nur wenige konkrete Schritte sichtbar geworden.“ Ein Überblick.

Demokratiefördergesetz Das Kabinett hat diese Woche die Eckpunkte für das Gesetz beschlossen, das „zivilgesellschaftliche Engagements für Demokratie, Vielfalt und gegen Extremismus“ mit viel Geld dauerhaft fördern soll. Allerdings gibt es zwischen der Unionsfraktion und der SPD noch Streit über die konkrete Ausformulierung des Gesetzes. Knackpunkt ist eine sogenannte Extremismusklausel, die den Abgeordneten sehr wichtig ist. CDU und CSU wollen, dass nur Organisationen und Projekte Steuergeld erhalten, die schriftlich bekennen, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stehen. Ein Kompromiss sieht jetzt vor, dass das Bekenntnis im Antrag auf Förderung angekreuzt werden kann.

Die SPD betont, dass die Klausel nur für „unmittelbar“ an dem Projekt beteiligte Personen und Organisationen gelten soll. Das bedeutet: direkt für die Empfänger. Die Union will, dass die Klausel auch für „,mittelbar“ Beteiligte gilt. Wie weit das reichen würde, ist unklar. Die SPD-Innenpolitikerin Ute Vogt sagt dieser Zeitung: „Mittelbar ist kein nachvollziehbarer Rechtsbegriff.“ Sie findet das Verhalten der Unionsfraktion „unsäglich“. Chancen auf Umsetzung hat das Gesetz in dieser Legislatur quasi keine mehr.

„Rasse“ im Grundgesetz Den umstrittenen Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen, war ein weiterer wichtiger Punkt im Maßnahmenpaket. Anfang März einigten sich Seehofer und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) auf einen konkreten Gesetzentwurf: Demnach soll es in Artikel 3 des Grundgesetzes künftig heißen, dass niemand „aus rassistischen Gründen“ diskriminiert werden dürfe. Bisher steht dort, dass niemand aufgrund seiner „Rasse“ schlechter behandelt werden dürfe – womit aber nach Meinung der Kritiker der Eindruck erweckt wird, es gebe tatsächlich menschliche Rassen. Es gebe „überhaupt keine Berechtigung“ für den Begriff, sagt der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle, Bernhard Franke.

In der Unionsfraktion trifft der Lösungsvorschlag der Minister aber auf Widerstand. Der Innenpolitiker Thorsten Frei (CDU) argumentiert zum einen systematisch; dass nämlich durch die Umformulierung die Vereinbarkeit mit einer Vielzahl internationaler Konventionen erschwert werde. Zum anderen eröffne das Ersatzwort „rassistisch“ zu viele juristische Unschärfen. Für die Grünen ist die Blockade wiederum ein Zeichen für die mangelnden Durchsetzungsfähigkeit Seehofers. „Dass der Bundesinnenminister in seiner eigenen Fraktion auf solche Widerstände stößt, ist bemerkenswert“, sagt Mihalic. Seehofer habe „einfach keinerlei Interesse an den Themen und keinerlei Rückhalt in den eigenen Reihen“. Eine Lösung des Problems wird es in dieser Legislaturperiode vermutlich nicht mehr geben.

Verfassungsschutzreform Geheimdienste sollen mehr Befugnisse zur Überwachung von Kommunikation über Messengerdienste im Internet erhalten. Angesichts von rechtsradikalen und verschwörungstheoretischen Chat-Gruppen auf der Plattform Telegram soll das bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus helfen. Bisher können die Behörden nur auf SMS zugreifen. Kritiker bemängeln, dass dafür nötige Sicherheitslücken der Dienste auch von Kriminellen benutzt werden können. Das Gesetz soll noch in dieser Legislatur kommen.

Hilfehotline und Rassismus-Barometer Für diese beiden Vorhaben hatte sich Integrations-Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) besonders eingesetzt. Von Rassismus Betroffene sollten eine „zentrale bundesweite Anlaufstelle“ bekommen und die Fälle über ein Rassismus-Barometer ausgewertet werden, um „mehr Licht ins Dunkel“ zu bringen. In Betrieb ist beides noch nicht. „An der Umsetzung wird gearbeitet“, heißt es.

„Maßlos enttäuscht“ vom Verhalten der eigenen Fraktion beim Demokratiefördergesetz: Innenminister Horst Seehofer (CSU). Foto: Kay Nietfeld/dpa

„Maßlos enttäuscht“ vom Verhalten der eigenen Fraktion beim Demokratiefördergesetz: Innenminister Horst Seehofer (CSU). Foto: Kay Nietfeld/dpa

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Erstellt:
14.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 08sec
zuletzt aktualisiert: 14.05.2021, 06:00 Uhr

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