Premiere
Grabenkämpfe der Bescheidwisser
Das Schauspiel Stuttgart zeigt in Salzburg „Die Empörten“ von Theresia Walser, eine „finstere Komödie“ über das Phänomen Rechts-Populismus: Sprachwitz, solide inszeniert.
Sven Prietz (Anton) und Caroline Peters (Corinna Schaad) in Theresia Walsers „Die Empörten“. Foto: Barbara Gindl/dpa
Salzburg. Wohin mit einer Leiche – mitten im Wahlkampf? Einfach verstecken, meint die Bürgermeisterin pragmatisch. Kurz vor der Wiederwahl kann sie keinen Skandal brauchen, denn die Leiche war mal ihr Halbbruder, ein Pizzabote, der in eine Menschenmenge gerast ist. Also holt die Politikerin ihren anderen Bruder zur Hilfe und kippt die Leiche in die große Rathaustruhe. Dumm nur, dass lange noch ein Fuß aus der Kiste ragt.
Klingt nach klappriger Klischee-Klamotte. Soll es auch. Das mit der Leiche und dem Bein könnte glatt aus einer Farce von Ray Cooney stammen. Doch der Text lotet bei Theresia Walser, die einst mit „King Kongs Töchter“ (1998) einen Bühnenhit landete, tiefer. Geht mit satirischem Sprachwitz dorthin, wo es wehtut.
„Die Empörten“ heißt das neue Stück der jüngsten Walser-Tochter zum Thema Poli-Populismus, nicht unbrisant auch im Österreich von heute. Am Sonntag hatte das Stück bei den Salzburger Festspielen Uraufführung – als Koproduktion mit dem Schauspiel Stuttgart. Das erste Mal seit 19 Jahren. So darf man diese neue Einladung als Ehre einstufen fürs Stuttgarter Schauspiel unter Intendant Burkhard C. Kosminski.
Jeder kocht sein Süppchen
Kaum ist die Leiche – samt Fuß – in der Kiste versenkt, geht die Streiterei los. Denn niemand weiß, wie der Vorfall, bei dem außer dem Pizzaboten noch ein weiterer Toter und zehn Verletzte beklagt wurden, ablief. Nach der Bürgermeisterin Corinna Schaad, die ihren Stiefbruder nie leiden konnte, sind da „Leute massakriert“ worden. Ihre rechtslastige Konkurrentin im Wahlkampf spricht gar von einem „Attentat“. Der Todesfahrer habe angeblich noch „Allahu akbar“ gebrüllt.
„Das sagen heute alle“, beschwichtigt Corinnas leiblicher Bruder Anton und zitiert Stuttgarts Ex-OB Manfred Rommel, der einst beim Begräbnis der RAF-Terroristen Ruhe bewahrte: „Im Tod muss alle Feindschaft enden.“
Anton, der sich das Ganze aber eher schöntrinkt, setzt lieber einen Herzinfarkt als Auslöser in die Welt und spricht von einem „Unfall“. Das ist eine der Stärken in Walsers Text – sie führt vor, wie jeder bei einem Ereignis, von dem er keine Ahnung hat, sein Süppchen kochen will. „Fernfuchtler“ hat Peter Handke diese Bescheidwisser mal genannt.
Gut, auch Theresia Walsers Text kann den „Mehltau des Harmlosen“, den sie eigentlich vermeiden will, nicht restlos abstreifen. Er recycelt Phrasenmüll aus dem Politalltag, aber er entlarvt ihn, indem er ihn mit skurrilem Humor ins Groteske steigert. Die Schauspieler machen das Beste aus dem Text, verschärfen den Boulevard-Ton zur rabenschwarzen Satire.
Vor allem Caroline Peters kann Politpathos verstrahlen („Ich halte hier Erdbebenspalten zusammen!“), aber auch ihre Rivalin mobben – als „islamophobe Provinzhyäne“. Silke Bodenbender gibt sich Mühe, ihrer textlich schwach kolportierten AfD-Anmutung erregungsrhetorisch Leben zu verleihen, die im alten Europa eine „Lust am Untergang“ wittert. Anton (Sven Prietz) fantasiert nur noch, und André Jungs elegant befrackter Pilgrim kämpft mit der halbkaputten Lichtschranke an der Rathaustür und bejammert sich pseudo-philosophisch als Mensch, „der von Elektrik nicht mehr anerkannt wird“.
So weit, so skurril. Das Ensemble überspielt tapfer die Längen des Textes. Und Burkhard C. Kosminski, der von Theresia Walser schon einige Uraufführungen realisiert hat, inszeniert etwas brav, aber mit ruhiger Hand, autorenfreundlich und solide. Nur selten erlaubt er sich Bissigkeiten, wenn er zu Stichworten wie „Volkswadenstimmung“ eine Salzburger Postkartenlandschaft mit Kirche und Minarett einblendet. Alles in allem: viel trockener Sprachwitz mit entlarvten Worthülsen. Starker, kurzer Beifall.