US-Kunstturnerin Simone Biles verzaubert das Publikum und peilt Rekorde an

Goldener Autopilot

Die Herren Phelps und Bolt gehen bald in Rente. Neuer Superstar dieser Spiele: Kunstturnerin Simone Biles. Das US-Girl kann für einen Gold-Rekord sorgen.

13.08.2016

Von WOLFGANG SCHEERER

Gegen die Gesetze der Schwerkraft: US-Star Simone Biles könnte zur erfolgreichsten Athletin der Spiele avancieren. Foto: Action PRess

Gegen die Gesetze der Schwerkraft: US-Star Simone Biles könnte zur erfolgreichsten Athletin der Spiele avancieren. Foto: Action PRess

Rio de Janeiro. Sie ist Millionärstochter, verdient aber selbst schon mehr als satt. Geld spielt hier also keine Rolle, es geht um sportlichen Ruhm. Simone Biles, mit ihren 1,45 Metern leicht zu übersehen im Gedränge, das sie überall ganz flugs umgibt, wenn sie auf dem Olympiagelände in Barra irgendwo auftaucht, ist dabei, die größte Kunstturnerin aller Zeiten zu werden. Gabrielle Douglas war 2012 in London die erste Afroamerikanerin, die im prestigeträchtigen Mehrkampf triumphiert hat. Simone Biles ist direkt nach ihr die zweite. Und mit Gabby Douglas doch nicht zu vergleichen.

Bereits die Team-Entscheidung hatte die US-Riege mit der überragenden Simone Biles haushoch überlegen gewonnen, nun riss die 19-Jährige die 12 000 Zuschauer mit ihrem Auftritt an Sprung, Schwebebalken, Stufenbarren und Boden zu Jubelstürmen hin. Zwei Goldmedaillen hat sie damit bereits gewonnen. Am Ende könnte sie fünf der sechs holen. Das hat es in der Geschichte des Turnens noch nie gegeben. Die einstigen großen (weißen) Stars, von Larissa Latynina über Agnes Keleti und Vera Caslavaska bis zu Ecaterina Szabo kommen auf je vier.

Wenn auch sehr zierlich, Simone Biles ist durch ihre außergewöhnliche Dominanz jetzt schon die sportliche Figur der Sommerspiele in Rio. Weil klar ist: Keine kann sie stoppen. Mit einer klitzekleinen Ausnahme: Die Russin Aliya Mustafina, jetzt wie schon 2012 Dritte im Mehrkampf, ist als Stufenbarren-Olympiasiegerin von London an diesem Gerät (noch) einen Tick besser. Silber in Rio ging an Alexandra Raisman. Glücklich fiel Biles der einen Kopf größeren, weißen Teamkollegin um den Hals.

Wieder einmal traf genau ein, was Alexandra Raisman so beschreibt: „Alle wissen, dass Simone in einer eigenen Liga spielt. Die eigentliche Gewinnerin ist, wer hinter ihr Platz zwei belegt.“ Schon vor Olympia hatte Biles Einmaliges geschafft: Noch nie gewann eine Kunstturnerin im Mehrkampf drei Weltmeistertitel nacheinander. Sie holte 2013, 2014 und 2015 Gold, dazu weitere sieben Gold-, zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen an den Einzelgeräten. Auch das ein Rekord.

„Wenn ich im Wettkampf bin, ist mein Körper irgendwie die ganze Zeit auf Autopilot. Manchmal frage ich mich selbst: Habe ich das gerade wirklich getan?“ So hat Simon Biles ihre traumwandlerische Sicherheit beschrieben. Auf dem nur zehn Zentimeter breiten Schwebebalken zeigt sie Übungen in Schwierigkeitsgraden, die andere am Boden aus dem Gleichgewicht brächten.

Mit unfassbaren Sprüngen, Salti, Drehungen, mit viel Witz und noch mehr Eleganz verzaubert sie ihr Publikum, darunter auch ein Hollywood-Star. Es ist eine Mischung aus extrem perfektem und progressiven Kunstturnen, großem Ballettgefühl und tänzerischer Extraklasse, die Simone Biles auszeichnet. Nicht nur das macht die Turn-Akrobatin daheim aktuell zum Gesprächsthema. Eben auch ein Twitter-Flirt mit dem sieben Jahre älteren Schauspieler Zac Efron, der vorm Poster der US-Turnerinnen mit den Händen ein Herz formt. Blitzartig ist's durchs Netz geschossen: Verschossen?

Nicht immer hat Simone Biles so gestrahlt wie jetzt in Rio in ihrem glitzernden Einteiler in den US-Farben blau, rot und weiß. Auch Sterne sind aufgenäht. „Stars and Biles“ möchte man formulieren. Ihre Kindheit in Texas, ja noch nicht allzu lange her, war zunächst weniger glücklich. Kurze Zeit musste Simone Biles sogar ins Heim, weil die Mutter so starke Drogen- und Alkoholprobleme hatte, dass an eine geregelte Erziehung nicht zu denken war. Der wohlhabende Großvater nahm sich mit seiner Frau schließlich der damals Sechsjährigen an. Ronald Biles war es auch, der die Ausbildung an den teuersten Turnzentren finanzierte. Schon damals keine Frage des Geldes. Aber es hat sich gelohnt.