Tornado in Kiel

Experten’: Glück im Unglück

Durch die Naturgewalt über der Kieler Förde wurden Menschen verletzt und Häuser beschädigt. Es hätte aber schlimmer kommen können.

01.10.2021

Von DPA

Eine Windhose fegte am Mittwochabend über die Kieler Förde hinweg: Der Tornado hinterließ sechs  Verletzte. Foto: Philipp Brandl

Eine Windhose fegte am Mittwochabend über die Kieler Förde hinweg: Der Tornado hinterließ sechs Verletzte. Foto: Philipp Brandl

Ein Tornado reißt Menschen in die Kieler Förde, andere werden von herumfliegenden Gegenständen verletzt – die Bilder von dem Ereignis am Mittwochabend lassen schreckliche Folgen befürchten. Die bisherige Bilanz: Sechs Menschen wurden verletzt und Dächer beschädigt. Nach Expertenansicht hätte die Naturgewalt deutlich schlimmere Schäden anrichten können.

Wäre der Tornado etwa durch die Innenstadt gezogen, hätten Dachziegel wie Geschosse durch die Gegend fliegen können, sagt der Tornado-Experte Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD). „Von der Stärke her ist es nach ersten Auswertungen aber ein eher schwächerer Tornado gewesen.“

Beim Versuch, ein Ruderboot aus dem Wasser zu retten, wurden an der beliebten Promenade Kiellinie nach Feuerwehrangaben sechs Menschen verletzt, drei davon schwer. Laut Feuerwehr wurden Opfer „vollständig durcheinander gewirbelt“, dabei seien auch Leute ins Wasser gefallen. In den Stadtteilen Meimersdorf und Gaarden beschädigte das Naturereignis Dächer. Insgesamt gab es zwei Dutzend Feuerwehreinsätze.

„Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen“, sagt der Meteorologe Andreas Villwock vom Kieler Geomar-Forschungsinstitut. „Aber das war ganz knapp.“ Der DWD-Experte Andraes Friedrich schätzt die Rotationsgeschwindigkeit des Tornados auf 118 bis 180 Kilometer pro Stunde. Das gehe mit „zerstörerischer Kraft“ einher. Am Boden habe er sich aber nur mit Tempo 10 bis 20 fortbewegt. Die Spur der Schäden des im Süden der Stadt gebildeten Tornados sei laut Auswertungen etwa sieben Kilometer lang. Meist sei er über schwach bebautes Gebiet gezogen.

Zu den Betroffenen aus dem Stadtteil Meimersdorf im Kieler Süden gehört Angela Rose. „Es hat erst geregnet, dann war es leise“, erinnert sich die 60-Jährige. „Auf einmal gab es ein pfeifendes Geräusch und es hat fürchterlich geknallt.“ Schrecklich sei es gewesen. Zuerst habe sie gedacht, die Scheiben des Mehrfamilienhauses seien zerstört worden. Stattdessen habe sich das Dach abgedeckt, die Dachgaube sei durch den Tornado zur Seite geschoben worden.

Nach Angaben der Feuerwehr wurden weitere Dächer in Meimersdorf und im Stadtteil Gaarden beschädigt. Vom Kieler Süden aus zog der Tornado am Abend in Richtung Förde, dicht an den Werften ThyssenKrupp Marine Systems und German Naval Yards am Ostufer vorbei zur Kiellinie am Westufer. Nach dem Vorfall vor dem Ersten Kieler Ruder-Club von 1862 löste sich der Tornado Videos zufolge kurz hinter dem Seehundbecken vor dem Geomar Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung an Land auf.

In dem Geomar-Gebäude hat auch der Klimaforscher Mojib Latif sein Büro. Er selbst war zu diesem Zeitpunkt nicht in Kiel. Latif sieht in dem Auftreten des Naturphänomens kein Anzeichen des Klimawandels. „Ich würde jetzt keine Verbindung zur globalen Erwärmung herstellen“, sagt er. „Es ist ein seltenes Phänomen, das hin und wieder auftaucht, bedeutet aber keine neue Qualität.“

Das Problem an Tornados sei, dass man sie überhaupt nicht vorhersagen könne, sagt Latif. „Bei entsprechender Wetterlage können sie immer entstehen.“ Latif spricht aber angesichts der Bilder von einem erschreckenden Szenario. „Tornados haben immer ein enormes Schadenspotenzial.“ Kiel sei noch glimpflich davongekommen. „Tornados sind zwar kleinräumig. Sie können aber ganze Straßenzüge verwüsten, wenn man Pech hat, und dann können auch Menschen ums Leben kommen.“ dpa