Tübingen · Gutenachtgeschichte
Geschichten, die uns was sagen
Nachdenkliche und heitere Geschichten und musikalische Unterhaltung bescherten einen schönen Sommerabend in Bühl.
Das Trio Dreiklang (Renate Hallmayer, Irene Jantzen, Birgit Vona) fächelte sich zunächst noch etwas Kühle zu. Doch flugs setzten die drei Sängerinnen Zylinder auf und stimmten das Publikum trotz langer Zeit ohne Proben auf kurzweilige Unterhaltung ein – stimmungsvoll unterstützt von Bert Klein am Klavier. Dreiklang besangen etwa die angeheiterte Rückkehr von Proben und eine unfreiwillig ans Steuer gesetzte Frau. Zur Melodie von „Those were the days“ schnalzte und klatschte das Publikum mit.
Die Kulissenschieber Gottfried Knott und Erich Sommer enthüllten nach einem Countdown des Publikums den Ledersessel. Als erste Vorleserin nahm am Dienstag das Bühler Urgestein Rosa Wutz darin Platz. Die frühere Sekretärin engagiert sich ehrenamtlich in der Leseförderung an der Grundschule ebenso wie in der Seniorenarbeit und las drei Kurzgeschichten von Johann Peter Hebel.
„Diese Geschichten wollen uns etwas sagen und uns zu vernünftigem und moralischem Handeln anleiten“, sagte Wutz. Bereits in ihrer Kindheit habe sie sich davon immer wieder inspirieren lassen. Über 300 solcher Geschichten von Hebel gebe es, erklärte Schlossschreiber Johannes Schweikle, der durch den Abend moderierte. „Die Texte sind eingängig und für jeden verständlich geschrieben“, so Schweikle.
Trickreich auf Diät gesetzt
Er berichtete später launig von einem „Benno-von-Bühl-Lehrstuhl“, um den sich die in der Namensdiskussion befindliche Universität Tübingen gerade streite. Die heitere Geschichte „Kannitverstan“ um einen jungen Handwerker aus Tuttlingen, der in Holland unterwegs ist, dort nichts versteht und auch nicht verstanden wird, kam beim Publikum besonders gut an. Die Moral: Am Ende sind alle gleich, ob arm oder reich.Wutz las außerdem die Geschichte eines Arztes, der einen dicken Patienten sehr trickreich auf Diät setzt („Der geheilte Patient“) und jene von den drei Wünschen eines Ehepaares, die sich unbedacht ausgesprochen gleich in Luft auflösen. „Wir haben alle Gelegenheit, glücklich zu werden“, sagte Wutz. Allerdings gehe das nur, wenn man den Verstand benutze.
In der 20-minütigen Pause besichtigten die Zuhörer einige Skulpturen von Ralf Ehmann im Schlossgarten. Der Spendenhut ging für die Opfer des Hochwassers um. Laut Schweikle soll ein kleiner Teil der Einnahmen auch an von Corona gebeutelte Künstler gehen.
Für einen Text von Patrick Süskind hatte sich der seit 2012 im Schloss lebende Deutschlehrer Ole Kazich entschieden – allerdings nicht das weithin bekannte „Parfum“, sondern die „Amnesie in litteris“ aus dem kleinen Werk „Drei Geschichten“. „Wie war die Frage? Achso, ja: Welches Buch mich beeindruckt, geprägt, gestempelt, gebeutelt, gar auf ein Gleis gesetzt oder aus der Bahn geworfen hätte“, beginnt die Geschichte.
Gekonnt und mit guter Betonung las Kazich aus der kleinen Betrachtung über den literarischen Gedächtnisschwund, den wohl jeder Leser kennt, der ein gelesenes Buch nach Jahren wieder zur Hand nimmt und sich dann kaum an Einzelheiten erinnern kann. Wozu also überhaupt lesen? Möglicherweise wirkt es schließlich viel tiefer als nur im Gedächtnis.
Die Gutenachtgeschichte auf Reisen–die Termine