Nationalmannschaft

Geschafft: Nun wartet Wembley

Die DFB-Elf hat bei der EM ein frühes Aus und damit ein Fiasko auch für den Bundestrainer abgewendet. Wille und Einsatz stimmen, die defensiven und offensiven Schwächen geben Rätsel auf.

25.06.2021

Von Carsten Muth

Arm in Arm und sehr erleichtert verließen Leon Goretzka (links) und Bundestrainer Joachim Löw den Platz. Foto: Jan Huebner via www.imago-images.de

Arm in Arm und sehr erleichtert verließen Leon Goretzka (links) und Bundestrainer Joachim Löw den Platz. Foto: Jan Huebner via www.imago-images.de

München. Die Nervenschlacht von München ist vorüber. Und sie wirft Fragen auf. Wie etwa kann ein Team, dass gegen Portugal teils begeisternden Fußball gezeigt hat, im entscheidenden Spiel gegen Underdog Ungarn derart ins Schwimmen geraten? Gerade noch so hat die deutsche Nationalmannschaft mit einem 2:2 das frühe Aus bei dieser Europameisterschaft abgewendet und damit ein Fiasko. Sie ist für das Achtelfinale qualifiziert. Am Dienstag (18 Uhr) trifft die DFB-Elf in London auf England. Der Klassiker steht an. Zuvor gibt es aber noch viel aufzuarbeiten für Trainerteam und Spieler. Viel Schlaf dürften die Beteiligten in der Nacht auf Donnerstag nicht bekommen haben. Zu aufwühlend waren diese 90 Minuten, die wohl niemand so schnell vergessen wird. Es war eine in vielerlei Hinsicht denkwürdige Begegung in der Münchner EM-Arena.

Was auch an den äußeren Umständen lag, dem Dauerregen und Gewittergrollen über dem Stadion. Umso stärker es regnete, desto konfuser wirkten die deutschen Aktionen. Der Spielverlauf tat sein übriges: Die frühe Führung der Ungarn durch Adam Szalai, das planlose Anrennen der Deutschen, schließlich der Ausgleich durch Kai Havertz und dann – völlig verrückt – postwendend der erneute Treffer für die tapferen Ungarn, bei dem die DFB-Elf übertölpelt wurde.

Der eingewechselte Leon Goretzka rettete die Löw-Mannschaft mit seinem 2:2 sechs Minuten vor dem Ende. Er rettete auch den Coach selbst, dessen Bundestrainer-Ära beinahe abrupt beendet gewesen wäre. „Das war so verflucht knapp“, schrieb Abwehrchef Mats Hummels noch in der Nacht nach dem Spiel auf Instagram. Robin Gosens sprach von einer „Achterbahnfahrt der Gefühle“, Kapitän Manuel Neuer von einem „absoluten Nervenkrimi“. Und Bundestrainer Joachim Löw? Er sah, vom Regen völlig durchnässt, wie so viele aus nach dem Abpfiff: geschafft. Löw richtete schnell den Blick nach vorn. „Jetzt ist diese Vorrunde abgehakt. Jetzt geht es darum, alles oder nichts“, sagte der 61-Jährige und dachte dabei schon an das Achtelfinale in Wembley.

Gegen Ungarn wechselte Löw gewissermaßen den Ausgleich ein. Vor allem der junge Jamal Musiala und Torschütze Leon Goretzka drückten dem Geschehen in den Schlussminuten ihren Stempel auf. „Er war frech, hat die Bälle gesichert“, lobte der Bundestrainer über den 18-Jährigen Musiala von Bayern München. Löws Team aber bleibt eine Wundertüte. Willen und Einsatz haben gegen Ungarn gestimmt. Von der starken Performance gegen Portugal waren seine Schützling aber weit entfernt. Gegen die klug und leidenschaftlich verteidigende ungarische Elf fehlten lange Zeit Mittel und Ideen.

Ungarns Trainer Marco Rossi hatte zudem den besseren Matchplan. Der Italiener stärkte seine eigene rechte Defensivseite. Mit der Folge, dass DFB-Shootingstar Robin Gosens auf links kaum zum Zuge kam. Häufig lief stattdessen das deutsche Aufbauspiel über rechts und dort über Mathias Ginter, dessen Stärken wiederum nicht unbedingt in der Spieleröffnung liegen.

In der Zentrale waren Toni Kroos und Ilaky Gündogan bemüht, doch auch sie fanden wenig Lücken im dichten Abwehrgestrüpp. Vorne hing Serge Gnabry in der Luft, war quasi kaum sichtbar. Der für den angeschlagenen Thomas Müller ins Team gerutschte Leroy Sané musste auf der linken Außenbahn ran, wo er sichtlich unwohl fühlte. Der Hochbegabte blieb auch gegen Ungarn den Nachweis seiner Klasse schuldig.

Eine Baustelle bleibt auch die deutsche Abwehr. Selbst Routinier Mats Hummels vermag die Defensive bislang nicht zu stabilisieren. Der spielstarke Dortmunder war gegen die Ungarn häufig mit der Bewachung des Torschützen Adam Szalai beschäftigt. Innenverteidiger-Kollege Antonio Rüdiger wiederum hatte größere Freiräume, wusste mit diesen aber wenig anzufangen.

Goretzka ist überglücklich

Wird gegen England wieder alles besser? Schwer zu sagen. Bundestrainer Löw und Kapitän Neuer jedenfalls sind optimistisch. Sie erwarten „einen anderen“, einen offensiv ausgerichteten Gegner – und mehr Raum und Zeit, um eigene Aktionen zu starten, eigenen Akzente zu setzen, besseren Fußball zu spielen.

Was von diesem denkwürdigen Fußball-Abend und dem 2:2 gegen Ungarn bleibt, ist vor allem Erleichterung im deutschen Lager. Der Jubel fiel verhalten aus. Freudentänze gab es nicht. „Ich bin überglücklich“, postete Leon Goretzka Stunden nach dem Abpiff. Und auch dies: „Yess!! Nun wartet Wembley!“

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Erstellt:
25.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 06sec
zuletzt aktualisiert: 25.06.2021, 06:00 Uhr

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