Buchmesse

Gemütlicher Marktplatz

Weniger Menschen, weniger Aussteller, extrabreite Gassen, aber viel Lesestoff: Ein Rundgang durch die Hallen und Kanadas literarische Natur.

21.10.2021

Von Jürgen Kanold

Auf der Buchmesse geht es 2021 eher gemütlich zu. Carlsen aber ist groß präsent, nicht zuletzt mit J.K. Rowlings „Weihnachtsschwein“.

Auf der Buchmesse geht es 2021 eher gemütlich zu. Carlsen aber ist groß präsent, nicht zuletzt mit J.K. Rowlings „Weihnachtsschwein“.

Frankfurt/Main. Die Natur ist ein Ungeheuer“, weiß Margaret Atwood, die 81-jährige kanadische Autorin. In der Literatur ihres Landes werde die Natur zum „riesigen, übermächtigen Feind“, mit dem der Mensch kämpfen müsse. Wald, Wildnis, Bergmassive – so klischeehaft scheint unser Bild von Kanada also nicht zu sein, und im Gastland-Pavillon der Frankfurter Buchmesse fließen nun Wassermassen. Allerdings nur virtuell. Wellen-Skulpturen durchziehen den Raum, mit darauf projizierten Buchstaben-Strömen.

Eine kunstvolle Landschaft, gar nicht so gefährlich, und ab und an tauchen auch Autorinnen und Autoren auf Monitoren auf. Bücher aus Kanada, durchblätterbare, gibt es eher wenige in dieser Halle, nur hinter den Kulissen, aber ansonsten ziemlich viele: fast 400 neu ins Deutsche übersetzte. Es sind immer mehr geworden, denn Kanada war eigentlich schon 2020 Ehrengast und hat, weil die Buchmesse praktisch ausfiel – nur als digitales Netzwerk sich verbreitete, ein „Bonus“-Jahr bekommen.

„Reconnect“ – erneut verbinden – lautet diesmal das Motto des weltgrößten Branchentreffs. Normalität aber herrscht noch nicht, und so zeigen sich zwar 70 kanadische Autorinnen und Autoren auf der Buchmesse, aber keine zehn tatsächlich vor Ort. Alles noch hybrid.

Die britische Queen Elizabeth II. wäre auch ohne Corona-Krise nicht nach Frankfurt gereist, amtlich ist sie ja das Staatsoberhaupt Kanadas. Die Eröffnungsrede hielt dann Mary May Simon, die erste Inuk als königliche Generalgouverneurin, und sie ermunterte, sich mit den indigenen Geschichten zu beschäftigen.

Richard Wagemese etwa erzählt in seinem bei Blessing erschienenen Roman „Der gefrorene Himmel“ das Schicksal eines indigenen Jungen, der in einem staatlichen, gefühlskalten Heim aufwächst und sich aufmacht, um Geborgenheit zu finden, seine Identität, das kulturelle Erbe der Ojibwe-Indianer. Saul sucht Trost in der Natur, will sich mit der Welt versöhnen. In anderen aktuellen Büchern aus Kanada geht’s, um Atwoods „Survi?val“-Literaturgeschichte zu bemühen, um ein anderes Überleben: Mittlerweile bedroht der Mensch die Natur.

So lässt es sich, Lesestoff, Gedanken, Gespräche sammelnd, endlich wieder durch die Hallen schlendern und mittags Rast machen mit Gastland-Spezialitäten, Ahorn-BBQ-Lachs und Pancakes mit Blaubeer-Ragout. Einen Platz im Restaurant muss man nicht suchen an diesem Mittwoch. Zum Auftakt der Buchmesse ist sie eher gemütlich bevölkert. Rund 2000 Aussteller (aus 80 Ländern) statt 7500, und die Besucherzahl ist begrenzt auf 25 000 Gäste pro Tag. Diese haben, maskentragend, viel Platz auf den Corona-bedingt breiten Gängen. Auf dem „Blauen Sofa“ des ZDF sitzen die Interviewpartner, etwa Buchpreisträgerin Antje Rávic Strubel, gut zehn Meter vom brav hinter einer Absperrung zuhörenden Publikum entfernt.

Eher schlicht fallen viele Auftritte aus: Suhrkamp etwa hält nicht prominent Hof, sondern hat sich mit Hanser, C.H.Beck und Aufbau pragmatisch in Halle 3.1 zusammengeschlossen. Verlage wie Bastei Lübbe oder Carlsen, das mit dem „Weihnachtsschwein“ von J.K.Rowling Geschäfte machen will, zeigen sich bunt und groß wie je. Auch der Stand von dtv fällt nur etwas kleiner aus als 2019: „Wir sind glücklich wieder da zu sein und ganz optimistisch“, sagt Teresa Moser.

Die unabhängigen Verlage wie Secession aus Berlin sind auch wieder auf diesem Marktplatz am Start, blicken aber weniger zuversichtlich in die Zukunft. Jetzt auch noch die Papierkrise: Verleger Joachim von Zepelin ist froh, dass ihm gerade druckfrische Exemplare seines Spitzentitels „Nach dem Tagebuch“ in die Halle geliefert worden sind: Bas von Benda-Beckmann erzählt das Schicksal von Anne Frank und der anderen Untergetauchten aus dem Hinterhaus nach ihrer Verhaftung. Secession bringt die deutsche Übersetzung heraus (fein editiert, mit viel Bildmaterial). Nächste Woche aber, wenn von Zepelin im Deutschen Romantikmuseum in Frankfurt zu einer Premiere seiner gefeierten „Handbibliothek der Romantik“ lädt, muss er das ohne die neuen Ausgaben tun – „keine Chance, signalisierte die Druckerei“. Kein „Horror“-Band – ein Horror.

Proteste gegen rechten Verlag

„Für das Wort und die Freiheit“ steht auf einer riesigen Werbetafel des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, und die Buchmesse muss sich zu diesem Thema gleich um die Ecke einem Problemfall stellen: Der Jungeuropa-Verlag ist dort vertreten, mit Titeln wie „Sozialismus und Nation“. Neubraune Propaganda: Das hat Proteste hervorgerufen, etwa von der Bildungsstätte Anne Frank. Buchmesse-Direktor Juergen Boos freilich sagt dazu: Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, „die Buchmesse ist der Ort, der dafür steht“.

Diskurse, Debatten. Das ist wieder live möglich. Und was fehlt noch aus normaleren Zeiten? Richtig, TV-Großkritiker Denis Scheck auf der ARD-Buchmessenbühne – diesmal in der Festhalle. Bis zu 180 Bücher lese er pro Jahr, erzählt Scheck, aber den Namen des neuen Literaturpreisträgers Abdulrazak Gurnah habe er noch nie gehört. Sofort habe er sich ein Buch bestellt: „Ich warte immer noch.“ Es gibt freilich auf der Buchmesse, die wieder zum Stöbern einlädt, noch tausende andere Titel zu entdecken.

Auf 25 000 Besucher pro Tag begrenzt

Für Privatbesucher ist die Frankfurter Buchmesse von Freitag, 14 Uhr, an geöffnet (bis 18 Uhr), sowie am Samstag (9-18 Uhr) und Sonntag (9-17.30 Uhr). Das Tagesticket kostet 19 Euro (ermäßigt 10 Euro). Die Tickets können nur online gekauft werden und sind personalisiert (mit 3G-Nachweis). Die Besucherzahl ist täglich auf 25?000 begrenzt. www.buchmesse.de

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Erstellt:
21.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 36sec
zuletzt aktualisiert: 21.10.2021, 06:00 Uhr

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