Kommunen

Gehalt ist nicht alles

Über den drohenden – und auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile angekommenen – Fachkräftemangel klagt die Wirtschaft seit einigen Jahren. Doch auch der öffentlichen Hand fehlen Ingenieure, Handwerker, Sachbearbeiter, Erzieher und viele weitere gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Besonders in der Pflege und der Kinderbetreuung sind Nachbargemeinden zu Konkurrenten um neue Mitarbeiter geworden. Manfred Niewöhner, Tübinger Fachbereichsleiter, gewährt im Interview einen Einblick in seine Bemühungen um neues Personal.

17.04.2020

Von Lorenzo Zimmer|Fotos: Anne Faden, Moritz Hagemann

Erzieherin Lisa Buhl, Mirko, Melani, Tamara und Erzieherin Ute Hagmaier (von links) beleben die Kita in der Tübinger Schaffhausenstraße.

Erzieherin Lisa Buhl, Mirko, Melani, Tamara und Erzieherin Ute Hagmaier (von links) beleben die Kita in der Tübinger Schaffhausenstraße.

Jugend, Betreuung, Schule und Sport: Manfred Niewöhner leitet bei der Stadt Tübingen jenen Fachbereich, der vom vielbeschworenen Fachkräftemangel besonders betroffen ist. Ihm fehlen vor allem Erzieherinnen und Erzieher – und durch den Ausbau der Tübinger Kindertagesstätten bekommt er auch die Belastung und die personellen Engpässe der Bauverwaltung direkt zu spüren.

Manfred Niewöhner ist Leiter des Fachbereichs Bildung, Betreuung, Jugend und Sport bei der Stadt Tübingen.

Manfred Niewöhner ist Leiter des Fachbereichs Bildung, Betreuung, Jugend und Sport bei der Stadt Tübingen.

Herr Niewöhner, welche Fachkraft würden Sie sich backen, wenn Sie könnten?

Manfred Niewöhner: Ich glaube, im Bereich der Kinder- und der Schulkindbetreuung, ist der Personalbedarf sicherlich mit am größten. Das liegt schlicht daran, dass diese beiden Bereiche bundesweit massiv ausgebaut wurden und derzeit noch werden.

Warum gestaltet sich die Personalgewinnung so schwierig?

Das ist eine gute Frage. Wir stellen fest, dass wir in diesen Bereichen – obwohl die Bezahlung deutlich besser geworden ist – trotzdem eine Lücke haben. Und die Personalengpässe bleiben bestehen, sie werden uns weiterhin beschäftigen.

Trifft das ausschließlich Ihren Bereich der Kinderbetreuung?

Nein. So lange die Privatwirtschaft boomt, ist es für die öffentliche Hand erfahrungsgemäß schwieriger, gutes Personal zu finden. Ich gehe davon aus, dass vor allem auch die Kollegen in den Niedriglohnsektoren – denken Sie an die Kommunalen Servicebetriebe, die Stadtreinigung – ähnlich große Schwierigkeiten haben, Personal zu finden.

Was hat Ihnen die private Wirtschaft als Arbeitgeber voraus?

Nach unserer Erfahrung punkten diese Arbeitgeber gar nicht unbedingt immer nur mit der besseren Bezahlung, sondern auch mit anderen Themen. Etwa mit einem verlässlichen Arbeitsplatz, der trotzdem spannende Karriere-Möglichkeiten bietet. Dem öffentlichen Dienst eilt bisweilen ein Ruf der trockenen Unbeweglichkeit und der starken Hierarchien voraus. Das wirkt auf viele abschreckend, die sich im Beruf nicht als kleines, starres Rädchen in einer großen, undurchsichtigen Maschine fühlen wollen.

Entspricht dieses Bild der Realität?

Für die Tübinger Stadtverwaltung kann ich klar sagen: nein. Bei uns gibt es viele Möglichkeiten, sich zu entfalten und viele Chancen, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen.

Würden mehr übertarifliche Löhne helfen, die Lage zu entspannen?

Wir sind diesen Weg bei den Erzieherinnen gegangen – und mussten die Regelung wieder rückgängig machen. Der Plan war, neue Mitarbeiterinnen besser zu bezahlen – damit haben wir viele ältere und erfahrene Mitarbeiter vor den Kopf gestoßen. Das ist der Unterschied zwischen der Verwaltung und der Wirtschaft: Am freien Markt bezahlt der Chef neuen Talenten vielleicht auch mal mehr als seinen älteren Angestellten. In der öffentlichen Verwaltung wird das zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt – und daran sind wir dann mehr oder weniger gebunden, egal wie der Arbeitsmarkt aussieht.

Erzieherinnen und Erzieher macht Ihnen aber nicht die Wirtschaft streitig – davon gibt es einfach zu wenige, oder?

Junge Menschen, die von der Schule kommen, überlegen sich sehr genau, mit welchem Gehalt sie sich und ihre Familie versorgen können. Und da ist der Beruf der Erziehers, auch wenn es Gehaltszuwächse gab, im Vergleich zu anderen Berufen nicht ganz so auf Rosen gebettet. Das ist sicher ein Problem.

Muss die Gesellschaft bei diesen Gehältern also weiter nachlegen?

Ich glaube, wir müssen überzeugender sein bei der Vermittlung des Berufsbildes. Erzieher ist ein sehr herausfordernder, toller Beruf. Er ist zugleich eine Belastung, aber bietet auf der andere Seite eben viele Gelegenheiten, sich persönlich zu entfalten. Zudem ist es wichtig, die Rahmenbedingungen für Ausbildung und Beschäftigung zu verbessern und die pädagogische Arbeit mit dem Kind und der Familie in den Mittelpunkt zu stellen. Daran arbeiten wir in Tübingen sehr erfolgreich.

Eines ihrer Anliegen ist es, dass sich mehr Männer für einen erziehenden Beruf entscheiden. Warum?

Weil sie wichtige Rollenvorbilder für Jungs sein können. Wir erleben in der Kita und leider auch in der Grundschule oft ausschließlich Erzieherinnen und Lehrerinnen – gerade für Jungs würde ich mir wünschen, dass das anders ist. Und auch den Mädchen würde ich wünschen, in Kita und Schule Männer mit einem modernen Rollenverständnis zu erleben.

Was brachte Sie persönlich in den sozialen, öffentlichen Bereich?

Viele Berufe waren mir zu trocken. Ich hatte den Anspruch, mit Menschen zu tun zu haben und hier meine Fähigkeiten weiterentwickeln zu dürfen. Dazu hat der Beruf des Sozialarbeiters hervorragend gepasst.