Kulturkonzeption

Gegen Zensur und Kleingeist

Der Direktor des Deutschen Bühnenvereins zu Gast beim Runden Tisch in Reutlingen.

20.11.2017

Von Bernhard Haage

Marc Grandmontagne, Direktor des Deutschen Bühnenvereins.

Marc Grandmontagne, Direktor des Deutschen Bühnenvereins.

Auf großes Interesse der Kulturszene gestoßen ist der Impulsvortrag von Marc Grandmontagne, dem Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, beim Runden Tisch Kultur am Freitagabend. Er sprach in den Räumen der Stiftung für Konkrete Kunst zur „Entwicklung der Kultur in den Kommunen“.

Zur Begrüßung gab Oberbürgermeisterin Barbara Bosch eine Einführung in das komplexe Thema. Spätestens seit sich in Reutlingen eine Vielzahl von Akteuren intensiv mit einer gemeinsamen, spartenübergreifenden Kulturkonzeption beschäftigen, gelte auch hier der Satz: „Eine Stadt ohne Kultur kann nicht gedacht werden.“ Ihr Versuch, dies mit Zahlen zu belegen, beeindruckt: Zwölfeinhalb Millionen Menschen besuchten in der Saison 2016/17 in Deutschland Fußballstadien. Für den gleichen Zeitraum konnte der Deutsche Bühnenverein 21 Millionen Theaterbesucher vermelden.

Dessen Direktor kam dann auch gleich auf die Rolle der Kulturpolitik zu sprechen. Das künstlerische Werk, die gesellschaftliche Teilhabe und der Raum für den Erhalt des Vergangenen nannte er als deren Aufgaben. Genau entgegengesetzt wirkten Zensur, Kleingeist und das ökonomische Primat.

„Kulturpolitik ist eine Aufgabe für die ganze Stadt“, stellte Grandmontagne fest. Das bedeute, die Politik müsse die Eigengesetzlichkeit und Autonomie der Kunst schützen. Das erfordere Neutralität und Toleranz. Außerdem müsse der Staat die Kultur fördern. „Städte und Gemeinden haben einen Anteil von 41 Prozent an der Kulturförderung“,
berichtete der Dozent, aber manch eine Stadt sei versucht, an dieser „freiwilligen Leistung“ zu sparen.

„Reutlingen ist eher noch eine Insel der Seligen“, sagte Grandmontagne und berichtete von dem Prozess, der dazu geführt hatte, dass das Ruhrgebiet im Jahr 2010 überraschend zur Kulturhauptstadt Europas gekürt wurde. An der Umsetzung war er selbst in leitender Funktion beteiligt. Insgesamt 53 Kommunen hatten sich damals an dem Gestaltungsprozess beteiligt. Entstanden sei dabei „eine neue Form interkommunaler Zusammenarbeit“.

Für ihn sei die Kommune ein starker Gestaltungsraum, der wichtigste in der Demokratie, verriet der Direktor des Deutschen Bühnenvereins – und verband das mit einem Lob an die Reutlinger Kommunalpolitik: „Ich habe die Kulturentwicklungskonzeption von 2005 gelesen und war beeindruckt.“ Er hob den Umfang und die gute Dokumentation dieses Prozesses hervor.

„Eine Kulturpolitik aus einem Guss ist immer mehr als die Summe aller Akteure“, betonte Grandmontagne – auch wenn nicht jeder seine Bedürfnisse vollumfänglich befriedigt bekomme. Gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungen und der Einzug populistischer Parteien auch in die Stadtparlamente erforderten einen Einsatz für eine offene Gesellschaft. Eine weitere Bedrohung für die Kultur stelle eine Ökonomisierung der Kunst dar. „Kunst ist nicht demokratisch“, sagte Grandmontagne. Er wünscht sich „mehr Orte der kulturellen Verständigung, aber auch der kulturellen Anarchie“.

Im Anschluss an den Vortrag diskutierte das Publikum mit Grandmontagne und Reutlingens Kulturamtsleiter Werner Ströbele. „Wie sollten sich Kulturinstitutionen in Bezug auf den drohenden Einzug der AfD in die Gemeinderäte aufstellen?“, fragte Cornelius Grube, Intendant der Württembergischen Philharmonie. Musikaufführungen machen und sich deutlich zur offenen Gesellschaft bekennen, lautete die Antwort von Grandmontagne.

Der Grafikdesigner Christoph Dohse fragte den Dozenten schließlich, was er in der Fortschreibung der Reutlinger Kulturkonzeption denn anders machen würde: „Bisher lag der Schwerpunkt auf den Institutionen“, antwortete Grandmontagne, „vielleicht sollten Sie sich jetzt eher mit inhaltlichen Themen beschäftigen.“

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Erstellt:
20.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 36sec
zuletzt aktualisiert: 20.11.2017, 01:00 Uhr

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