Gesundheit

Gefährlicher Hype um Wurmmittel für Tiere

In sozialen Medien kursieren Erzählungen über Ivermectin als Medikament gegen Covid-19. Das Wurmmittel kann hochgiftig sein.

01.12.2021

Von Von Sebastian Fischer, dpa

Berlin. „Sie sind kein Pferd. Sie sind keine Kuh“, twittert im Spätsommer die US-Arzneimittelbehörde FDA. „Im Ernst, Leute, hört auf damit.“ Was ist passiert? Seinerzeit wächst das Interesse an einem Arzneistoff namens Ivermectin zur Covid-19­-Behandlung beim Menschen. Der Hype hält in bestimmten Foren und Kanälen bis heute an. Genutzt wird das Mittel regulär zur Bekämpfung von Würmern bei Tieren.

Die Behauptung, Ivermectin sei ein effektives Mittel gegen Covid-19, wird durch die Studienlage nicht gedeckt. Fakt ist: Ivermectin kann in bestimmten Dosen auch beim Menschen eingesetzt werden, etwa gegen Fadenwürmer, Krätzemilben und Rosazea. Gegen Corona ist das Medikament nicht zugelassen.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) sieht bisher keinen Hinweis auf eine Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19. Dazu verweist die Behörde auf eine übergreifende Analyse von 14 klinischen Studien vom Juli 2021. Darin schreiben die Forscherinnen und Forscher: „Wir sind unsicher in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit von Ivermectin bei der Behandlung oder Vorbeugung von Covid-19.“ Auch die europäische Arzneimittelagentur EMA empfiehlt eine Ivermectin-Anwendung nur im Zuge klinischer Untersuchungen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt im September: „Die Auswirkungen von Ivermectin auf Sterblichkeit, künstliche Beatmung, Hospitalisierung, Dauer des Klinikaufenthalts und Virusbeseitigung bleiben ungewiss, da die Beweise für jedes dieser Ergebnisse sehr unsicher sind.“ 16 untersuchte Studien mit insgesamt rund 2400 Teilnehmern zeigten „ein hohes Risiko für Verzerrungen und eine hohe Ungenauigkeit“.

Bei Tieren wird Ivermectin in Form von Injektionen oder Pasten zur Behandlung bei Parasitenbefall verwendet. Hochkonzentrierte Dosen für große und schwere Lebewesen wie Kühe oder Pferde unterscheiden sich stark von denen, die für Menschen gedacht sind.

Impfgegner sehen in dem Medikament schon länger ein Wundermittel in der Pandemie. In Österreich, wo etwa Politiker der rechtspopulistischen FPÖ Ivermectin immer wieder anpreisen, wurde zeitweise von einem Run auf Apotheken berichtet. Ende August wiesen Experten der US-Gesundheitsbehörde CDC auf immer mehr Anrufe bei Giftnotrufzentralen nach der Einnahme von Ivermectin hin. Die Zahl der Verschreibungen soll in den USA geradezu explodiert sein.

Angefeuert wird der Hype vor allem von unseriösen Seiten im Internet, die zum Teil auf vermeintlich vielversprechende Studienergebnisse verweisen. Vor allem positive Ergebnisse kleinerer Studien veranlassen Lobbygruppen dazu, den Einsatz als Covid-­Medikament zu fordern.

So hieß es im Juni von der Universität Oxford, Ivermectin habe in kleinen Laborstudien vielversprechende Ergebnisse erzielt. Eine frühe Verabreichung reduziere die Viruslast und die Dauer der Symptome bei einigen Patienten mit leichter Erkrankung. Zugleich wurde eingeschränkt, es gebe nur wenige Belege aus kontrollierten Studien. Ivermectin sollte in eine großangelegte Erhebung einbezogen werden, um Aussagekraft zu erhalten.

Eine australische Laborstudie wies im April 2020 darauf hin, dass Ivermectin in Zellkulturen die Sars-CoV-2-Vermehrung hemmen könnte. Österreichische Forscher bemängelten, die verwendete Dosis habe weit über der gelegen, „die für Menschen als unbedenklich gilt“. Wegen der diffusen Lage gibt es Meta-Analysen, die Einzeluntersuchungen zusammenfassen. Bisher kommt keine zu der Erkenntnis, dass Ivermectin erkennbar gegen Covid-19 nutzt. In Österreich sprach sich sogar Hersteller MSD (Merck Sharp & Dohme) gegen eine eigenmächtige Einnahme aus: „Es gibt keine aussagekräftige Evidenz für die Anwendung von Ivermectin bei Sars-CoV-2“. dpa

Überdosierung ist hochriskant

Laut Beipackzettel kann es bei der Verwendung des Medikaments Ivermectin zu Lebererkrankungen, Blut im Urin, Übelkeit, Erbrechen, Zittern, Atembeschwerden, Hodenschmerzen, Gleichgewichtsstörungen oder Krampfanfällen kommen. Eine Überdosierung könne zu Koma oder Tod führen, schreiben die Experten der US-Arzneimittelbehörde FDA. dpa

Zum Artikel

Erstellt:
01.12.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 44sec
zuletzt aktualisiert: 01.12.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!