Tübingen · Weihnachtsspendenaktion

Gäste der Woche: Was sie brauchen, um sich stark zu fühlen

Die Pandemie hat es Kindern und Jugendlichen schwer gemacht: Einige brauchen Beratung. Die bekommen sie auch bei Regine Kottmann und Petra Sartingen, die bei Tima die beiden Fachstellen leiten.

11.12.2021

Von Lisa Maria Sporrer

Regine Kottmann (links) und Petra Sartingen arbeiten schon sehr lange bei Tima. Bild: Ulrich Metz

Regine Kottmann (links) und Petra Sartingen arbeiten schon sehr lange bei Tima. Bild: Ulrich Metz

Lockdown bedeutete für Kinder und Jugendliche vor allem eins, sagt Regine Kottmann: Rückzug. „Sie waren sehr allein. Sehr isoliert. Haben versucht etwas zu finden, das irgendwie Sinn macht. Während der Pandemie mussten sie selber dafür sorgen, dass sie sich stark und gut fühlen.“ Regine Kottmann arbeitet bei Tima, sie leitet dort die Präventions- und Beratungsstelle bei Essstörungen, „Lebenshunger“. Workouts seien für viele eine Herausforderung gewesen. Auf Instagram gibt es Vorbilder dafür, keine guten Vorbilder, sagt Kottmann. Bilder, denen sie unentwegt ausgesetzt sind. Omnipräsent. Körperbilder, die nicht erstrebenswert sein sollen. Die Selbstbewusstsein nur suggerieren. Verändertes Essverhalten durch falsche Voraussetzungen.

Dann aber gibt es auch die anderen Fälle, die Kinder, die im Lockdown mehr gegessen haben. Jetzt in der Schule aber mit ihrem neuen Aussehen konfrontiert werden. Vor der Pandmie, sagt Kottmann, hätte sie rund 100 Fälle beraten. Jetzt sind es über 160. Der Beratungsbedarf wächst, sagt sie. Der Beratungsbedarf wächst, sagt auch Petra Sartingen.

Petra Sartingen leitet bei Tima die Fachstelle mädchenstärkende Gewaltprävention und -Beratung. Im kommenden Jahr wird diese Fachstelle dann zu einer Fachberatungsstelle zu sexualisierter Gewalt, die Tima in Zusammenarbeit mit den Pfunzkerlen, der Fachstelle Jungen- und Männerarbeit, in der Hirschauer Straße eröffnen wird. Die Räumlichkeiten sind schon gefunden, direkt gegenüber vom Kaffee Kränzle, nah an den Schulen also. Dennoch abgelegen genug, um Privatsphäre zu garantieren. „In der künftigen Fachberatungsstelle werden wir zu dritt sein, plus ein kleiner Stellenanteil für einen Kollegen der Pfunzkerle“, sagt Sartingen. Die dritte Stelle ist bereits ausgeschrieben. „Wir sehen diesen Beratungsbedarf seit Beginn unserer Geschichte“, sagt Sartingen. Also seit rund 30 Jahren. Jetzt sehe auch der Landkreis den Bedarf. „Es gibt diese Fälle, sie tauchen auf beim Jugendamt.“ Und sie müssten nun anders bearbeitet werden. Von einer Stelle, die zwar eng mit dem Jugendamt kooperiert, aber unabhängig ist. „Betroffene Mädchen brauchen einen Ort wo sie reden können, Strategien entwickeln, wieder Boden unter den Füssen bekommen“, sagt Sartingen. Und oft scheuen sich Mädchen eben, zum Jugendamt zu gehen.

Manchmal gehe es etwa um Vorkommnisse, die Unsicherheit bei den Betroffenen hervorrufen. An wen können sie sich dann wenden? An Freunde? An die Familie? Als Beispiel erzählt Sartingen von einem Mädchen, das einen Übergriff erlebt hat, im Netz etwa. Es ist ein fiktives Beispiel, weil sie natürlich nichts von ihren echten Fällen erzählen darf.

Während der Pandemie verbrachten Kinder und Jugendliche viel Zeit im Netz, sagt sie. Man lernt jemanden im Chat kennen. Vielleicht entsteht eine Beziehung. Vielleicht sogar eine enge, intensive Beziehung. Man erzählt sich viel. Fasst Vertrauen. Verliebt sich. Dann bekommt man die Aufforderung, ein Bild zu schicken. Ein intimes Bild. „Damit ist man dann anders erpressbar“, sagt Sartingen.

Wenn es schließlich zu einem Treffen im echten Leben kommt, die Person aber ganz anders ist, als man sie sich vorgestellt hat, älter vielleicht, vielleicht eine ganz andere Identität hat, wird es schwer für das Mädchen. Vielleicht kommt es dabei auch zu einem körperlichen Übergriff. Das sei nicht selten, so Sartingen. Selten gehe ein Mädchen, dem so etwas passiert, direkt zum Jugendamt. Aber der Beratungsbedarf ist da. Und er steigt. Die Fachberatungsstelle wird vom Landkreis und der Aktion Mensch finanziell unterstützt. Das Geld reiche aber gerade für die neue Stelle und die Miete. Aber für die Ausstattung fehlt noch Geld.

Beide, Petra Sartingen und Regine Kottmann arbeiten schon lange, sehr lange bei Tima, zunächst als Ehrenamtliche. Sie erzählen im Gespräch von ihren Erfahrungen, von der guten Zusammenarbeit mit den Pfunzkerlen. Weil es ja nicht nur um Beratung von Mädchen geht. Auch Jungen haben Beratungsbedarf, besonders auch die Eltern von Jungen brauchen Anlaufstellen für diese Beratung. „Viele denken immer noch, dass wir bei Lebenshunger nur Mädchen beraten“, sagt Kottmann. So sei das aber nicht. Mittlerweile gebe es einen eigenen männlichen Honorarmitarbeiter für diesen Arbeitsbereich.

Es gebe eben diesen Beratungsbedarf, er steige, bei Jungen, wie bei Mädchen. Auch dafür fehle die Finanzierung. Deshalb hat sich Tima an das TAGBLATT gewandt. Präventionsarbeit an Schulen, in Kitas, all das koste. Aber von Jammern ist keine Spur zu hören von den Beiden. Vielmehr schwärmen sie von ihrer Arbeit. „Mich hat schon im Sportstudium interessiert, was Jungen und Mädchen brauchen, dass es ihnen gutgeht mit ihrem Körper“, sagt Kottmann. Das fand sie immer schon interessant. Deshalb ging sie zunächst in die Bewegungstherapie. „Jetzt interessiert mich, was die Jugendlichen stark macht, um das selber zu entscheiden.“ Was brauchen sie, um sich stark zu fühlen. „Es geht dabei ja immer um Selbstwert.“ Und sie selber? Was tut ihr gut? „Trommeln“, sagt sie als erstes. Bewegung. Und die Arbeit, auch die mache ihr großen Spaß.

Auch Petra Sartingen weiß, wie wichtig es ist, Lebensbereiche zu entdecken, die einem gut tun. Auch für sie selber. Malen, Sport, Beziehungen leben. „Auch, und vielleicht gerade, wenn man was Schlimmes erlebt hat, ist es so wichtig, dass da Menschen sind, die einem guttun, die einen auffangen, die Kraft geben.“

Regine Kottmann

1962 geboren in Göppingen,

1975-1980 Schule in Sao Paulo Brasilien

1983-1990 Studium der Sportpädagogik in Tübingen

1991-1995 Sport-und Bewegungstherapeutin PLK Zwiefalten

1996-2004 Sport-und Bewegungstherapeutin psychiatrischen Tageskliniken

2007 Gründung der Präventions- und Beratungsstelle Lebenshunger

2007-2009 Ausbildung zur systemischen Beraterin DGSF

Seit 1996 Mitarbeiterin bei Tima

Seit 2007 Festanstellung bei Tima Lebenshunger

Seit 2018 Leitung und Beratung Lebenshunger

Regine Kottmann ist Mutter von 2 erwachsenen Söhnen

Petra Sartingen

1959 geboren in Viersen

1980-83 Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in den Mariaberger Heimen

1985- 90 Studium der Erziehungswissenschaft in Tübingen

Seit 1996 Weiterbildungen Gestaltberatung und Gestaltpädagogik, systemisches Elterncoaching

2011 – 2020 Mitarbeit im Landesnetzwerk KonfliktKultur

Seit 2016 Lehrbeauftragte am Institut für Erziehungswissenschaft Uni Tübingen

Seit 1988 Ehrenamtliche bei Tima

Seit 1990 Festanstellung bei Tima

2005 - 2018 Geschäftsführerin der Tima

Seit 2018 Leitung der Tima im Tandem mit Regine Kottmann

Petra Sartingen hat 2 erwachsene Töchter und eine kleine Enkelin

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Erstellt:
11.12.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 31sec
zuletzt aktualisiert: 11.12.2021, 01:00 Uhr

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