Gemeinwohlökonomie

Für’s Wohl aller

Profit ja, aber nicht auf Kosten anderer. Unternehmen wie Easysoft und Nestbau wirtschaften ethischer. Denn hinter der Idee des Gemeinwohls steckt, dass ein Unternehmen natürlich Gewinne erwirtschaften muss, doch nicht um jeden Preis. Vielmehr soll es einem ethisch verantwortungsvollen Wirtschaften zunächst um das Wohl der beteiligten Menschen und der Umwelt gehen.

18.03.2022

Von Jens Gieseler|FOTOS: Unternehmen/de Maddalena

Für’s Wohl aller
Nach mehr als 25 Jahren Unternehmensführung stellt Andreas Nau fest: „Unsere Erfahrung ist, dass sich langfristig durchdachte Investitionen lohnen.“ Dabei geht es dem Easysoft-Geschäftsführer nicht nur um Ausgaben für Produktentwicklung oder Infrastruktur, es geht ihm auch um die intensiven Beziehungen zu Kunden und Mitarbeitern. Weil all‘ das nachhaltige Entwicklungen sind, die allen Beteiligten dienen, war es für ihn und seinen Geschäftsführungskollegen Friedhelm Seiler ein logischer Schritt, ihre Metzinger IT-Schmiede gemeinwohl-zertifizieren zu lassen. Bisher sind sie die einzigen im Landkreis Reutlingen und auch in Tübingen gibt es keine Hand voll.

Hinter der Idee des Gemeinwohls steckt, dass ein Unternehmen natürlich Gewinne erwirtschaften muss, doch nicht um jeden Preis. Vielmehr soll es einem ethisch verantwortungsvollen Wirtschaften zunächst um das Wohl der beteiligten Menschen und der Umwelt gehen. „Auf diesem Terrain fühlen wir uns gut aufgehoben“, sagt der 56-jährige bekennende Christ. So wollen die beiden Chefs mit ihrer Vision Sinnvolles erreichen, etwa dass durch ihre Software jährlich zehn Millionen Menschen an passenden Bildungsmaßnahmen teilnehmen können. Oder: Dass die derzeit rund 90 Mitarbeiter sich persönlich weiterentwickeln.

Beispiel für die Nachhaltigkeit: Als Easysoft 2016 das neue Bürogebäude in Metzingen bezog, investierte die Führung zusätzliche 100.000 Euro in eine digitale Haustechnik, die Heizung, Klimaanlage, Jalousien sowie Licht automatisch regelt und so Energie spart. „Damit tun wir einerseits etwas Ökologisches“, so Nau, „andererseits sparen wir Ausgaben, so dass sich die Investition nicht nur amortisiert, sondern wir langfristig sogar einen ökonomischen Vorteil erzielen“. 20 Grad gelten als eine angenehme Arbeitstemperatur. Dementsprechend ist die Heizung eingestellt. Doch selbst jetzt im Winter liefert die Sonneneinstrahlung in dem vollverglasten Gebäude viel Wärme – entsprechend wenig Leistung müssen die Heizkörper bringen. Teilweise fahren sogar die Jalousien herunter.

Eine offene und transparente Kommunikation ebenso wie „einfach-nur-mal-abschalten“ an der 16 Meter hohen Kletterwand, gehören zur Unternehmensphilosophie von easysoft in Metzingen.

Eine offene und transparente Kommunikation ebenso wie „einfach-nur-mal-abschalten“ an der 16 Meter hohen Kletterwand, gehören zur Unternehmensphilosophie von easysoft in Metzingen.

Doch für Jürgen Linsenmaier ist das nur ein kleiner Aspekt des Firmengebäudes: „Easysoft hat seine Unternehmensphilosophie in einen Bau übersetzt“. Von großzügigen Arbeitsplätzen und Tagungsräumen, über Slacklines und eine 16 Meter hohen Kletterwand bis zu Ruheräumen und einer voll ausgestatteten Küche – das finde man bei vergleichbaren Mittelständlern äußerst selten, sagt der Berater für Gemeinwohlökonomie (GWÖ) aus dem Remstal. Tatsächlich punkteten die Metzinger bei dem Audit besonders beim Thema Mitarbeiter: Menschenwürde, Transparenz, Mitentscheidung oder Fortbildung wurden von der Auditorin hoch bewertet.

Schwieriger ist dagegen der Bereich Lieferanten. Das sei sehr typisch, weiß Linsenmaier, denn mittelständische IT-Unternehmen haben kaum Möglichkeiten herauszufinden, wie etwa PCs, Laptops oder Bildschirme hergestellt, geschweige wie die Rohstoffe gewonnen werden. Auch bei den riesigen Rechenzentren bekommen Kunden selten Einblicke, geschweige können Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Auch Easysoft war bis 2008 bei einem Großanbieter. Der war zwar günstiger, doch das „bezahlte“ der Entwickler für Ausbildungs- und Personalentwicklungssoftware mit schlechtem Service. Seit dem Wechsel zu einem kleineren Rechenzentrum in Freiburg erhält das Unternehmen einen schnelleren und individuellen Service, außerdem arbeiten die Badener zu 100 Prozent mit grünem Strom und die Metzinger bewegten das Rechenzentrum dazu, ein umweltverträglicheres Kühlmittel zu verwenden.

Im Güterbahnhof-Areal in Tübingen leben acht Menschen In einer von den Angehörigen selbst verwalteten „Demenz WG“ der nestbau AG.

Im Güterbahnhof-Areal in Tübingen leben acht Menschen In einer von den Angehörigen selbst verwalteten „Demenz WG“ der nestbau AG.

Mit dem Lieferantenthema kämpft auch die Tübinger Nestbau AG. Seit 2018 sind die sozialen Wohnungsbauer gemeinwohl-zertifiziert. „Wir wissen, wie sich das beauftragte Bauunternehmen verhält“, sagt Gründer und Vorstand Gunnar Laufer-Stark. Aber ob die Subunternehmer Mindestlohn zahlen oder ob die Mitarbeiter länger in Containern leben, entzieht sich aktuell noch seiner Erkenntnis: „Das ist eine Aufgabe für die kommenden fünf Jahre“. Denn es geht eben nicht allein um das Wohl der rund 100 Mieter und fünf Mitarbeiter, sondern um alle Menschen, mit denen das Unternehmen durch sein Wirtschaften in Kontakt kommt.

Die Mieter in den gegenwärtig vier Häusern profitieren von der günstigen Miete, die durchschnittlich mehr als zehn Prozent unter dem Mietspiegel liegt. Besonders eng ist der Kontakt zwischen Vermieter und Mieter im ersten Haus im Schleifmühlenweg, weil sich im Erdgeschoss das Nestbau-Büro befindet. Die Mieter wollten den Garten selbst gestalten und in Schuss halten, das Unternehmen bezahlte Geräte und Pflanzen. „Wir kommen günstiger weg“, erzählt der 66-jährige Immobilienrechtler, „und die Mieter haben ihre Freude“.

Als er vor fünf Jahren die Gemeinwohlökonomie kennenlernte, stellte er fest, dass sie sich mit seiner Gründungsidee sehr stark deckt. Andererseits bekommt das Unternehmen durch das Audit viele neue Ideen. „Wir verwenden kein Styropor mehr als Dämmungsmaterial, das ist bisher nicht recycelbar“, so der Vorstand. Stattdessen kommt inzwischen ein Verbundsystem aus Ziegel und Steinwolle zum Einsatz, das sich gut trennen und wieder verwerten lässt und in Pfrondorf ist der erste Holzbau geplant.

Für alle zertifizierten Unternehmen ist die Gemeinwohlökonomie ein gutes Argument gegenüber potentiellen Mitarbeitern. Besonders jüngere Menschen stellen höhere Ansprüche an ihren zukünftigen Arbeitsplatz. Dabei geht es nicht um mehr Geld oder ein schickeres Dienstfahrzeug, sondern um sinnstiftende Arbeit und ein Wertesystem, das der künftige Arbeitgeber tatsächlich lebt. Für die Nestbau AG ist die Zertifizierung zudem ein überzeugendes Argument gegenüber interessierten Aktionären. Pro Jahr findet das Unternehmen rund 100 neue Aktionäre, die rund eine Million Euro zusammenbringen, als finanzielle Grundlage für ein neues Haus. „Das fällt uns inzwischen deutlich leichter“, so Laufer-Stark.

Gemeinwohlökonomie
was ist das?

Die Gemeinwohlökonomie hat sich der Österreicher Christian Felber zusammen mit zwölf Unternehmern ausgedacht, die bereits vor zehn Jahren nicht mehr an ein „höher, schneller, weiter“ glaubten. Stattdessen entwickelten sie ein Wirtschaftsmodell, in dem Unternehmer ethischer und vorausschauender handeln. Beispielsweise wird die Massentierhaltung großer Agrarbetriebe subventioniert, obwohl große Mengen von Methan und Gülle die Umwelt belasten. Bauern, die Rinder, Schweine oder Hühner verantwortlicher umgehen, ziehen dagegen den Kürzeren.

Vier Werte vertritt die Gemeinwohlökonomie, nämlich Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und demokratische Beteiligung. Die werden auf fünf Personengruppen bezogen: Eigentümer, Lieferanten, Kunden, Mitarbeiter und das gesellschaftliche Umfeld. Die 800 weltweit zertifizierten Unternehmen stellen dabei fest, wie verzweigt und komplex ihre Firma durch die vielen Geschäftskontakte tatsächlich ist. Easysoft landete als „Anfänger“ mit 442 Punkten bereits im gehobenen Mittelfeld.