Der Weg des Projektils

Für schwierige Kriminalfälle: Forscher entwickeln forensisches Verfahren

Verbrechen mit Schuss- oder Stichwaffen können jetzt viel genauer als bisher rekonstruiert werden – dank eines Verfahrens, das Tübinger Wissenschaftler entwickelt haben.

08.12.2015

Von Angelika Bachmann

Anhand von Proteinspuren an einer Kugel lässt sich der Weg durch den Körper des Opfers rekonstruieren.Grafik: Journal of Proteome ResearchGrafik: Journal of Proteome Research

Anhand von Proteinspuren an einer Kugel lässt sich der Weg durch den Körper des Opfers rekonstruieren.Grafik: Journal of Proteome Research Grafik: Journal of Proteome Research

Tübingen. Wer hat den tödlichen Schuss abgegeben? Für Ermittler der Polizei ist es oft schwierig, den genauen Tathergang zu rekonstruieren, vor allem wenn mehrere Menschen an einem Schusswechsel beteiligt sind. Ein interdisziplinäres Team Tübinger Wissenschaftler hat ein Verfahren entwickelt, das den Ermittlern künftig helfen kann, solche Fälle zu klären.

Mit dem Verfahren kann man nachvollziehen, welchen Weg eine Kugel durch den Körper eines Opfers genommen hat. Denn Organe wie Niere, Herz oder Leber hinterlassen Spuren auf den Schussprojektilen. Zum Teil sind es Gewebezellen, zum Teil auch kleinere Zellpartikel, Proteine. Diese kann man zwar nicht mit dem Mikroskop bestimmen, wohl aber, wenn man sie mit biochemischen Verfahren aufbereitet und mit Methoden der Bioinformatik bearbeitet und mit einer Datenbank abgleicht. Zu dem Forscher-Team gehören deshalb neben dem Biochemiker Sascha Dammeier auch die beiden Bioinformatiker Sven Nahnsen und Johannes Veit.

Dabei arbeitet Dammeier eigentlich im Proteom-Zentrum, einer Forschungsabteilung der Augenheilkunde. Dieses hat seine Büros und Labore allerdings im selben Haus in der Nägelestraße wie die Tübinger Rechtsmedizin. So entstand, quasi über den Flur hinweg, aus einer Idee ein erfolgreiches Projekt. Das Verfahren wurde bereits zum Patent angemeldet und an eine Dienstleistungsgesellschaft lizensiert, teilte die Universität mit.

Die Forscher entwickelten ihr Verfahren zuerst an isolierten Rinderorgangen. So fanden sie heraus, welche Proteinmuster typisch und für ein verlässliches Verfahren nutzbar sind. Auch die Metallzusammensetzung der Kugeln muss bei der Bearbeitung der Daten berücksichtigt werden.

Dass die Analysen des Tübinger Teams auch in der Praxis Gültigkeit haben, wurde bereits anhand eines abgeschlossenen Tübinger Mordfalls von vor drei Jahren geprüft: Eine Frau hatte ihren Ehemann erschossen und dabei mehrere Schüsse abgegeben. Die Polizei konnte damals damals die Tat und die Schussfolge genau rekonstruieren – es gab auch nur eine Täterin. Mit den noch verfügbaren Projektilen haben die Wissenschaftler gezeigt, dass ihr Verfahren funktioniert. Und dieses damit auch anwendbar ist, wenn mehrere Schützen involviert sind.

Zu den berühmtesten nach wie vor ungeklärten Schusskanälen der Kriminalgeschichte gehört wohl derjenige, den die legendäre „Magic-Bullet“ bei der Ermordung des US-Präsident John F. Kennedy genommen haben soll. Könnte das Tübinger Verfahren dabei helfen, solch einen Fall zu klären? Im Prinzip ja, sagte Sven Nahnsen. Genau in solchen Fällen könnte das neue Verfahren hilfreich sein. Man bräuchte dafür allerdings die Projektile.