Tübingen · Flüchtlingshilfe

Bihac: Hilfe für das Überleben im Freien

Engagierte aus dem Bündnis Bleibebrecht waren mehrere Wochen in Bihac und sammeln für einen weiteren Transport.

07.06.2021

Von Wolfgang Albers

Der erste Konvoi nach Bihac bei der Abfahrt in Kirchentellinsfurt. Privatbild

Der erste Konvoi nach Bihac bei der Abfahrt in Kirchentellinsfurt. Privatbild

Sie sammeln wieder und sie fahren wieder – für Bihac, nach Bihac. Engagierte aus der Region, die sich um diesen Hotspot der Flüchtlingsrouten auf dem Balkan kümmern.

Das Tübinger Bündnis Bleiberecht, ein offener Zusammenschluss von Gruppen und Einzelpersonen, hatte Anfang des Jahres Kleidung und Geld gesammelt und in die Stadt im Nordwesten Bosniens gebracht, direkt hinter die EU-Grenze zu Kroatien.

Dort probieren Tausende Flüchtlinge ihre „games“, wie sie es selbst nennen: über die Grenze in die EU zu kommen. Spielerisch ist da nichts: Die kroatischen Grenzer sind berüchtigt dafür, Flüchtlinge zurück zu prügeln. Kaum einer kommt durch.

Über Ostern ist ein zweiter Transport hinuntergefahren, und drei aus dem Team sind unten geblieben, für drei bis fünf Wochen. Sie haben sich dem Kochkollektiv angeschlossen, einer Schweizer Initiative, die den Flüchtlingen Essen bietet, sie mit Kleidung versorgt und medizinische Hilfe zu bieten versucht.

Flüchtlinge werden vom bosnischen Staat nur versorgt, wenn sie sich im Lager Lipa aufhalten – aber das ist weit weg von der Stadt und der Grenze. Viele Flüchtlinge, fast nur junge Männer zwischen 15 und 40, oft aus Pakistan oder Afghanistan, sind daher zum Beispiel in Ruinenbauten in der Stadt untergeschlüpft.

Dort hat sich die Haltung der Behörden aber verhärtet. Die Polizei hat die Gebäude in Bihac geräumt und gesperrt. Im Gelände um die Stadt, dem sogenannten „Dschungel“, walzte sie Behelfsunterkünfte nieder und verbrannte Habseligkeiten. Weshalb die Flüchtlinge noch weiter ins Umland, in die Wälder, auswichen.

„Die sind zum Teil noch vom Krieg vermint“, sagt Martin Fink, einer aus dem Dreier-Team. „Dort sind sie auch schutzlos dem Wetter ausgesetzt, und sie müssen viel weiter laufen, um an Essen zu kommen oder an Strom, um ihre Smartphones aufzuladen.“

Das Kochkollektiv stellt deshalb Essenstüten zusammen und fährt durch das Gelände, um die Menschen zu versorgen. Dabei ist eine Tüte Essen für fünf Leute kalkuliert und muss zwei Tage reichen. Trotzdem: Immerhin 15000 bis 20000 Euro benötigt das Kollektiv jeden Monat, um diese Hilfe zu finanzieren – das ist zum Beispiel ein Projekt, für das die Tübinger um Spenden bitten.

Weil Unterstützung für die Flüchtlinge von den Behörden nicht gewünscht ist, kam sich Lilli aus dem Team manchmal vor wie eine Dealerin: „Mit Decke über den Lebensmitteln im Kofferraum.“ Und manche Orte, sagt Martin Fink, habe man nur nachts anfahren können.

Das sei auch, sagt Lilli, ein Erwachen aus einer ganz schön naiven Welt: „Wenn man länger unten ist, versteht man die Situation immer besser, auch emotional.“ Was nicht einfach ist, hat Martin Fink erfahren: „Da kamen zwei von der Grenze, einer hatte einen gebrochenen Arm, weil er von den Kroaten verprügelt wurde. Andere kommen barfuß im Schnee zurück und mit zerrissener Kleidung – und ich weiß: Das passiert auch in meinem Namen, als konsequente Umsetzung einer europäischen Politik, die so gewollt ist.“

Ratlos-ohnmächtig war auch manchmal Pauline Bausch: „Wenn mich die Flüchtlinge fragen: Gibt es ein Land, das gut zu uns ist?“ Diese Gefühle wandelt dann Martin Fink in Motivation um: „Das ist für mich der Tritt in den Hintern, weiterzumachen.“

Wie jetzt mit der erneuten Sammlung, die gezielt das sucht, was die neue Situation erfordert – vor allem für ein Überleben im Freien: Schlafsäcke, Zelte, Planen, Rucksäcke, Taschenlampen, Powerbanks. Aber auch Kleidung wie Turnschuhe, T-Shirts oder Hosen. Und mit den Geldspenden sollen zum Beispiel Solar-Panels angeschafft werden, um ein bisschen Energieversorgung zu ermöglichen. Mitte Juli soll dann ein Transport alles wieder nach Bihac bringen.

Was und wo spenden?

Die Sachspenden (siehe oben, keine Größen ab XL) können bis zum 21. Juni abgegeben werden: mittwochs von 11 bis 13 Uhr im Fairen Kaufladen, Marktgasse, freitags von 13 bis 15 Uhr im Marktladen, Vogelbeerweg 4, samstags 11 bis 15 Uhr im SOS-Lager, Pfrondorfer Straße 12/1. Eine Person der Initiative ist dann jeweils vor Ort. Geldspenden an: menschen.rechte Tübingen, IBAN: DE 25 6406 1854 0308 1020 02, Verwendungszweck: Bihac. Kontakt: info@menschen-rechte-tue.org