Kaum virtuelle Tiere auf dem Land

Für das Spiel Pokemon Go reicht der Handyempfang an vielen Stellen in Starzach nicht aus

Das Handyspiel „Pokemon Go“ infiziert wie eine hoch ansteckende Epidemie vor allem junge Leute. Am Rottenburger Eugen-Bolz-Platz treffen sich jeden Abend zahlreiche Zocker und locken Pokemons an. Außerdem steht dort eine virtuelle Kampfarena. Wir wollten wissen, ob das Spiel auf dem Land ebenso gut funktioniert und fuhren nach Starzach.

02.08.2016

Von Dunja Bernhard

Vor dem Musikerheim in Bierlingen sitzt ein wildes Taubsi. Es ist eines der wenigen Pokemons, die wir in Starzach finden. Bilder: Bernhard

Vor dem Musikerheim in Bierlingen sitzt ein wildes Taubsi. Es ist eines der wenigen Pokemons, die wir in Starzach finden. Bilder: Bernhard

Für Freitagnachmittag haben wir uns verabredet: Elli und Joshua, zwei 20-jährige Studierende, und die Berichterstatterin, Ende 40. Wir wollen testen, ob wir in Starzach „Pokemon Go“ spielen können. Alle Drei sind wir blutige Anfänger. Erfahrenere Pokemon-Go-Spieler winken ab bei der Frage, ob sie mitkommen nach Starzach: „Da ist doch eh nichts los.“

Das wollen wir herausfinden. In Obernau soll es einen Pokestop geben. Wir vermuten ihn am Eselsturm. Hier ist er jedoch nicht. Die virtuelle Landkarte zeigt einen auf dem Firmengelände vom Obernauer Löwensprudel. Wir fahren dort auf den Parkplatz, und zumindest ich hoffe, dass mich keiner erkennt. Denn wir holen dort regelmäßig unseren Sprudel und irgendwie ist es schon peinlich, in meinem Alter Pokemon Go zu spielen.

Während Elli Pokebälle einheimst, indem sie mit einem Wisch auf dem Bildschirm das Foto von der Sprudelfabrik in Rotation versetzt, schauen Joshua und ich frustriert auf unsere Bildschirme. Nichts bewegt sich, so sehr wir auch wischen. Wir haben zu schlechten Empfang. In Bieringen gibt es gleich zwei Pokestops: an der Neckarbrücke und an der Kirche. Dort sammeln auch Joshua und ich Bälle. Auf dem Weg durch das Dorf kommt uns ein Jugendlicher entgegen, der den Blick starr auf sein Handy richtet. Wir hätten ihn fast übersehen, denn auch wir achten mehr auf die virtuelle Karte als auf unsere reale Umgebung. Ellis Handy vibriert. Mit einem eleganten Wisch fängt sie ein Hornliu ein, einen kleinen Wurm. Wieder gehen Joshua und ich leer aus.

Kaum Pokemons

und keine Pokestops

Weiter geht’s nach Wachendorf. Am Schloss erscheint auf der virtuellen Karte das Zeichen für einen Pokestop. Wir stellen das Auto in der Höfendorfer Straße ab. Dort fängt Joshua sein erstes Pokemon: eine Raupe. Auf der Hochebene scheint der Empfang besser zu sein. Gleich darauf ein weiteres Pokemon: Ein Rattfratz sitzt direkt auf der Durchgangsstraße – jedenfalls auf dem Handybild. Was passiert eigentlich, wenn ein Auto kommt? Nichts. Dass Pokemon bleibt sitzen, das Auto fährt dahinter vorbei. Handykamera ausrichten. Pokeball mit einem Wisch werfen. Dabei die Szene für den TAGBLATT-Artikel möglichst noch mit dem Fotoapparat festhalten. So viel Geduld hat das Pokemon nicht. Es löst sich in Rauch auf.

Obwohl noch mehrere Pokemons in der Nähe sein sollen, können wir bei unserem Spaziergang durch den Wachendorfer Ortskern keine weiteren Tierchen finden. Also weiter nach Bierlingen. „Da ist Glumanda“, rufe ich vom Rücksitz. Schon vorbei. Wir machen nicht kehrt – noch nicht.

In Bierlingen halten wir am Rathaus. Dort vermuten wir einen Pokestop. Den gibt es aber nicht. Mein Handy vibriert. Es zeigt vor dem Musikerheim ein Taubsi an. Schnell noch gucken, ob kein Auto kommt, und dann die Straße überqueren. Das Taubsi gebärdet sich widerspenstig und hüpft auf und ab. Der dritte Ball trifft. Das Taubsi ist gefangen. Mein Jagdinstinkt erwacht.

In der Stiegelgasse sitzt ein Hornliu. Jeder fängt es für sich ein. Hier scheint es doch mehr Pokemons zu geben als gedacht. Eine Karte zeigt fünf Pokemons in der Nähe an. Wir laufen durch das Wohngebiet „Dorfwiesen“. Vergeblich. Der Akku von Joshuas Handy ist fast leer. Also zurück zum Auto und das Handy auf dem Weg nach Felldorf aufladen.

Auch Felldorf hat keinen Pokestop. Mein Handy zeigt nur zwei Pokemons in der Nähe. Bei Elli sind es fünf. Wir laufen die Lange Straße hinauf und wieder hinunter. Einige Anwohnern beäugen uns kritisch. Wir finden kein Pokemon. Ebenso erfolglos sind wir in der Tulpenstraße. Aber auch hier begleiten uns fragende Gesichter und neugierige Blicke. Pokemon suchende Leute, die auf ihren Handybildschirm gucken, während sie durch die Straßen gehen, scheinen hier noch nicht zum alltäglichen Erscheinungsbild zu gehören.

Mein Handy meldet niedrigen Akkuladestand und schaltet auf Stromsparmodus. Wir beschließen, nach Hause zu fahren. In den Ortschaften mit schlechtem Handy Empfang ist nicht viel zu holen. „Halt. Stopp“, rufe ich auf der Ortsdurchfahrt Bierlingen auf Höhe des Trachtenheims. Zwei Rattfratz sitzen auf dem Gehsteig. Die will ich noch mitnehmen. Nach einem Blick in den Rückspiegel hält Joshua an. Ich muss ein ganzes Stück zurück gehen und verkneife mir zu rennen. Die Rattfratz sind noch da. Dass ich direkt an der Ortsdurchfahrt stehe und auf meinem Handy herumwische, stört mich schon nicht mehr. Ich fange ein Rattfratz. Dann stockt, wie schon unzählige Male an diesem Nachmittag, das Spiel. Ich muss es neu laden.

Joshua hat gewendet und kommt mir entgegen. „Da konnte ich nicht länger halten“, sagt er, als ich einsteige. Unsere Akkus sind leer. Zuhause laden wir sie wieder auf. Der Alltag hat uns wieder. Ohne Handy sitzen nirgendwo Pokemons. Doch das Spiel lässt mir keine Ruhe. Ich will wissen, wie es ist, in der Stadt zu spielen. Am Eugen-Bolz-Platz soll es von Pokemons nur so wimmeln. Außerdem sind dort drei Pokestops. Ich gehe noch mal los und komme nur langsam voran. Immer wieder vibriert mein Handy und zeigt ein Pokemon an. Entgegen kommende Männer, die eben noch auf ihr Handy starrten, lassen dieses unauffällig in der Hosentasche verschwinden. Mitspieler?

Auf dem Eugen-Bolz-Platz geniert sich niemand für seine neue Leidenschaft. Jugendliche sitzen dort in Gruppen zusammen, zocken und fachsimpeln. Ich setze mich dazu. Alle paar Minuten taucht ein neues Pokemon auf meinem Bildschirm auf. Bis der Akku leer ist.

Schloss in Wachendorf ist ein Pokestop.

Schloss in Wachendorf ist ein Pokestop.

So funktioniert Pokemon Go

Seit 13. Juli 2016 ist das vom US-amerikanischen Softwareunternehmen Niantic Labs herausgebrachte Handyspiel Pokemon Go in Deutschland verfügbar. Es lässt sich kostenlos aus App-Stores herunterladen. Die Spieler erstellen zunächst einen Avatar, eine virtuelle Figur. Sie zeigt auf einer virtuellen Karte die Position an, die sich am realen Aufenthaltsort des Spielers orientiert. Pokemons, die nach dem Zufallsprinzip auf der Karte auftauchen, kündigen sich durch Vibrieren des Handys an. Durch Antippen erscheint das Pokemon auf dem Display vor der realen Umgebung. Mit Pokebällen, die der Spieler durch Wischen auf dem Display wirft, können Pokemons eingefangen werden. So sammelt der Spieler Punkte und steigt in höhere Levels auf. Pokestops befinden sich an markanten Orten. Dort bekommen Spieler Bälle, Eier und weitere nützliche Spielgegenstände. In Arenen kämpfen verschiedene Teams mit ihren Pokemons gegeneinander.

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Erstellt:
02.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 13sec
zuletzt aktualisiert: 02.08.2016, 01:00 Uhr

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