Frankfurter Buchmesse

Für Tsitsi Dangarembga entspringt Handeln aus Hoffnung

Eine Pionierin und Kämpferin: Die Autorin, Filmemacherin und Aktivistin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe erhält am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

23.10.2021

Von Welf Grombacher

Tsitsi Dangarembga, Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2021.

Tsitsi Dangarembga, Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2021.

Tsitsi Dangarembga fing mit dem Schreiben an, weil sie sich in der Literatur nicht repräsentiert sah. „Als ich in den frühen 80er Jahren studierte, las ich ein Buch über ein schwarzes Mädchen in den USA, mit dem ich mich zum ersten Mal in meinem Leben identifizieren konnte.“ Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass ihr Antrieb aus einem Mangel heraus entstand. Während ihres Psychologiestudiums an der Universität von Simbabwe schloss Dangarembga sich Theatergruppen an. „Es gab einfach keine Stücke mit Rollen für schwarze Frauen, oder zumindest hatten wir damals keinen Zugang dazu. Ich sah nicht, dass sich die Situation ändern würde, es sei denn, eine Frau setzte sich hin und schrieb etwas, also habe ich das getan!“

Pioniergeist lässt sich der 1959 in der britischen Kronkolonie Südrhodesien geborenen Autorin, Filmemacherin und Aktivistin nicht absprechen. „Everyone’s Child“ war 1996 in Simbabwe der erste von einer schwarzen Frau gedrehte Film, „Nervous Conditions“ 1998 der erste von einer schwarzen Frau veröffentlichte Roman. Außerdem gründete sie 2002 das „International Images Film Festival for Women“ und fördert als Direktorin des „Institute of Creative Arts for Progress“ Kunst in Harare.

Für ihr umfassendes Engagement erhält Dangarembga in diesem Jahr den mit 25?000 Euro dotierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der an diesem Sonntag in der Frankfurter Paulskirche verliehen wird (11 Uhr live im ZDF). Die Schriftstellerin und Filmemacherin, heißt es in der Begründung der Jury, „verbindet in ihrem künstlerischen Werk ein einzigartiges Erzählen mit einem universellen Blick und ist deshalb (…) auch eine weithin hörbare Stimme Afrikas in der Gegenwartsliteratur“.

Schon Mutter Susan war 1953 in Rhodesien, das seit 1980 Simbabwe heißt, die erste schwarze Frau mit einem Bachelor-Abschluss. Mit ihr lebte Tsitsi Dangarembga von 1961 bis 1965 in England. Erst als Rhodesien seine Unabhängigkeit erklärte, kehrte die Familie zurück. Nicht leicht für ein Kind, welches das in Rhodesien gesprochene Shona erst erlernen musste. Vielleicht ging Dangarembga deswegen nach Cambridge, um Medizin zu studieren. Drei Jahre hielt sie es aus, dann siegte das Heimweh. 1989 studierte sie dann an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und blieb länger als ein Jahrzehnt in Deutschland.

Im Jahr 2000 kehrte sie mit ihrem deutschen Ehemann, Filmproduzent und Cutter Olaf Koschke, zurück in ihre Heimat. „Einer der Gründe, weshalb ich nach Simbabwe zurückging, war der Versuch, meine Karriere im Film aufzubauen“, erklärte sie in einem Interview mit dem Börsenblatt. Sie habe aber feststellen müssen, dass die Situation auch dort nicht zufriedenstellend ist.


Für Freiheit und Frauenrechte

Neben ihrer künstlerischen Arbeit engagiert sich die 62-Jährige für Freiheits- und Frauenrechte und kämpft für politische Veränderung. Nachdem sie im Juli 2020 zur Teilnahme an einer Anti-Korruptions-Demo aufgerufen hatte, wurde sie inhaftiert und auf Bewährung wieder freigelassen. Ihr Mut aber ist ungebrochen. „Wenn ihr wollt, dass euer Leiden aufhört, müsst ihr handeln“, appelliert sie an ihre Landsleute. „Handeln kommt aus der Hoffnung.“

Auch in ihrer Romantrilogie erzählt Dangarembga von einer nach Selbstbestimmung strebenden Heldin im postkolonialen Simbabwe. Kolonialismus und Rassismus spielen ebenso eine Rolle wie patriarchale Strukturen und die Dominanz der Weißen. Tradition und Moderne kollidieren. Themen, die sie auch in „Neria“ (1993) beschäftigten, seit Jahren einer der beliebtesten Filme in Simbabwe. Weil die Situation im Land immer schlimmer wird, die Wirtschaft kollabiert und die Regierung gegen das eigene Volk vorgeht, widmet sie sich zunehmend politischen Aktionen. Es ist zu hoffen, dass die Verleihung des Friedenspreises mehr Aufmerksamkeit auf die Missstände in Simbabwe lenkt.

In Großbritannien gefeiert, hierzulande übersehen

Die 1959 im damaligen Rhodesien geborene Autorin hat auf Englisch eine autobiografisch geprägte Trilogie veröffentlicht: 1988 erschien der erste Band, „Nervous Conditions“, 2006 folgte „The Book of Not“, 2018 „This Mournable Body“. Der Debütroman wurde von der BBC in die Liste der „100 wichtigsten Bücher, die die Welt geprägt haben“ aufgenommen.

In Deutschland wurde Dangarembga kaum wahrgenommen. Zwar wurde das Debüt 1991 unter dem Titel „Der Preis der Freiheit“ bei Rowohlt veröffentlicht, aber es verschwand in der Versenkung. Die Wiederentdeckung ist dem Berliner Orlanda Verlag zu verdanken. Schon 2019 hatte dieser Dangarembgas Debüt unter dem Titel „Aufbrechen“ neu herausgebracht, pünktlich zur Buchmesse folgte der dritte Band „Überleben“. Der fehlende zweite Teil der Trilogie soll im Herbst 2022 erscheinen. Grund sei eine unklare Rechtelage. dpa

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Erstellt:
23.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 23.10.2021, 06:00 Uhr

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