Tübingen

Fridays for Future: Frieren gegen die Erderwärmung

Erneut brachten die Klimaaktivisten in Tübingen rund 7000 Menschen auf die Straße: Studierende schlossen sich nur zögerlich an.

29.11.2019

Von Lorenzo Zimmer

Der Kopf des Demonstrationszuges erreichte die Mühlstraße, als der Schwanz noch den Stadtgraben entlang marschierte. Bild: Anne Faden

Der Kopf des Demonstrationszuges erreichte die Mühlstraße, als der Schwanz noch den Stadtgraben entlang marschierte. Bild: Anne Faden

Tübinger Uhlandstraße, 10.55 Uhr am Freitagvormittag: Die Bitte aufzurücken, sich enger zu staffeln, dröhnte durchs Megaphon von Fridays-for-Future-Aktivistin Paula Mayer. Zu den rund 3000 Schülerinnen und Schülern aus dem ganzen Stadtgebiet, die sich nach und nach vor dem Zwischenbau des Kepler-Gymnasiums versammelten, gesellten sich immer mehr Ältere: Die Eltern- und Großelterngeneration derer, die sich bei „Fridays for Future“ (FFF) engagieren, war gekommen, um ihren Kindern und Enkelkindern den Rücken zu stärken im Kampf um weniger Zukunftssorgen.

Ein Schüler aus der Unterstufe ergriff kurz darauf das Mikrofon, um seinem Unmut Luft zu machen: „Trotz der über 10000 Demonstranten im September in Tübingen hat die Stadt ein Grundstück an Amazon verkauft.“ Dies schien aus seiner Sicht nicht zu den Absichten der Verwaltung zu passen, beim Klimaschutz vorneweg zu gehen: „Umso mehr beweist uns das, dass es gut ist, dass wir wieder auf die Straße gehen.“

Auf die Straße brachten die laut Polizeiangaben rund 7000 Demonstrantinnen und Demonstranten in Tübingen auch ihre Forderungen – lokale, regionale, bundes- und weltweite: „Damit ich auch in Zukunft friere, wenn ich im Winter protestiere“, war einer der Plakat-Sprüche, der angesichts des eisig-kalten Nieselregens, der vom Himmel fiel, besonders gut passte. Direkt daneben skandierte eine swingend aufspielende Musik-Combo mit Blasinstrumenten und Percussion: „Für die Bienen – für das Leben – SUVs sind voll daneben!“

Angst in Autofahrer-Augen ließ sich wenige Minuten darauf auf der Alleenbrücke am Wildermuth-Gymnasium beobachten. Als der in seiner Stärke rasch anschwellende Zug aus der Uhlandstraße auf die Gerade zum Fußgängertunnel hin einbog, wollte eine Autofahrerin ihren geparkten Wagen wegfahren: „Oh Gott, was mach ich denn jetzt?“, sprach sie einen Polizisten an. „Heute sind es nicht ganz so viele wie beim letzten Mal, harren Sie einfach kurz aus, bis sie vorbei sind“, antwortete dieser gelassen.

Wetter, Klausuren, Eisenmann

Ein Blick durch die Reihen – auch nachdem der Demonstrationszug auf seinem Weg durch die Innenstadt immer mehr angeschwollen war – bestätigte den Eindruck der vergangenen Woche: Besonders viele Studierende ließen sich in Tübingen auch durch die eigens organisierte Hochschulstreik-Woche nicht mobilisieren. Dass weniger Schülerinnen und Schüler als beim letzten Mal kamen, konnte sich ein Kepler-Gymnasiast gut erklären: „Nächste Woche sind viele Klassenarbeiten und das Wetter ist beschissen“, sagte er nüchtern. Zudem habe Kultusministerin Susanne Eisenmann die Zügel angezogen: „Sie hat härtere Maßnahmen gegen Schulstreik angekündigt.“ Und als der Schüler das sagte, fiel ihm die Masse unisono ins Wort: „We are unstoppable, another world is possible!“

Beim TAGBLATT-Interview am Rande der Demo sagte FFF-Organisatorin Anneke Martens: „Bei Schülern ist der Erfolg unserer Initiative spürbar größer.“ Dies komme aus ihrer Sicht auch daher, dass die sozialen Gefüge der Schüler enger zusammenhängen: „Da ist der Dominoeffekt größer. Wenn einer oder zwei sagen, dass sie auf die Demo mitlaufen, kommt gleich der ganze Freundeskreis mit.“ Zudem, so befürchtete Martens, könnten die Studierenden bereits frustrierter sein: „Ich glaube schon, dass viele Studis etwas weniger Hoffnung haben, dass sich wirklich etwas ändert, weniger Hoffnung in die Politik stecken.“ Dennoch, so Martens weiter, sei die Streikwoche an der Tübinger Universität ein gutes Signal gewesen: „Es ist erst der Anfang unseres Bemühens, die Studierenden besser in unsere Aktionen miteinzubinden.“

Universitäre Unterstützung gab es dann bei der Demo am Freitag spätestens bei der abschließenden Kundgebung im Anlagenpark vor rund 2000 Zuhörern. TAGBLATT-Redakteur Volker Rekittke, der derzeit an der Tübinger Uni über faire Lieferketten promoviert, stärkte den Aktivisten im Namen der Tübinger Initiative „fairstrickt“ den Rücken – und warf moralische Fragen, insbesondere über den Textilsektor auf.

Rekittke machte dabei auch auf den „Black Friday“ aufmerksam – eine am selben Tag wie der Klimastreik stattfindende Rabatt-Aktion vieler Online-Händler, darunter auch Amazon: „Heute gilt: Geiz ist geil“, klagte Rekittke. Doch mit einem Durchschnitt von 60 neuen Kleidungsstücken im Jahr trage jeder Deutsche zu der prekären Lage in Ländern wie Bangladesch bei: „Wir leben in einer Externalisierungsgesellschaft, in der Kosten und Risiken systematisch ausgelagert werden“, so Rekittke weiter. Der Ausbeutung von Mensch und Natur im Süden des Globus entgegenzuwirken, werde nur möglich sein, wenn viele ihre Lebensweise umstellen. „Nach uns die Sintflut? Es ist schlimmer. Die Sintflut ist längst da!“

Gibt es gutes und schlechtes Schuleschwänzen?

Die Tübinger Schulen blieben auch bei diesem Klimastreik bei ihrer bisherigen Handhabung: An einigen Schulen galt das Fernbleiben vom Unterricht, um fürs Klima auf die Straße zu gehen, als unentschuldigtes Fehlen. Andere Schulen banden die Teilnahme an der Demo in den Unterricht ein oder stellten einzelne Schüler auf Antrag der Eltern frei.

Kultusministerin
Susanne Eisenmann hatte vor der Demo am Freitag gefordert, härter gegen Schulschwänzer vorzugehen. Die Entscheidung der Mannheimer Stadtverwaltung, einen Bußgeldbescheid gegen einen schwänzenden Schüler aufzuheben, kritisierte die Ministerin mit den Worten: „Es gibt kein gutes oder schlechtes Schuleschwänzen.“ Diese Haltung kritisierten die FFF-Aktivisten in einer Pressemitteilung vehement: „Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, wie nachhaltiges Handeln im Unterricht vermittelt werden kann, wird über Restriktionen versucht, auf die Schulleitungen im Land Einfluss zu nehmen und ihnen eine freie Handhabe zu verwehren.“