Management

„Frauen sind härtere Spieler“

Die Konkurrenz in den Top-Etagen ist hart. Doch es braucht weder Helden noch rücksichtslose Macher, sondern bescheidene Revolutionäre, sagen die Coaches Anke Houben und Kai Dierke.

25.09.2021

Von Caroline Strang

Gerangel um Sieg und Macht führen nicht zu Ziel. Nur gemeinsam kann Führung funktionieren. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Gerangel um Sieg und Macht führen nicht zu Ziel. Nur gemeinsam kann Führung funktionieren. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Führungskräfte kennen keine Angst, sind Macher, wissen immer, was zu tun ist, reagieren schnell und entschlossen auf die immer komplexer werdende Umwelt. Als Mythen bezeichnet das Autorenpaar Anke Houben und Kai Dierke diese Grundannahmen, die hinter einer aus ihrer Sicht veralteten Unternehmensführung stecken. Sie fordern andere Fähigkeiten ein, sie wollen nichts weniger als einen „bescheidenen Revolutionär“ an der Spitze.

Die beiden Führungs-Coaches, die auch Dax-Vorstände beraten, erklären, welche Werte dabei wichtig sind und warum diese in Deutschland wenig ausgeprägt sind.

Was machen viele Führungskräfte aus Ihrer Sicht falsch?

Kai Dierke: Da draußen gibt es viele Führungskräfte, die unter ihren Möglichkeiten spielen, weil sie sich in dieser komplexen Welt auf reaktives Managen verlegen. Sie erfüllen kurzfristig Erwartungen – von Vorgesetzten, Anteilseigener, vielleicht auch die der eigenen Mitarbeiter.

Anke Houben: Fatal ist, dass es sich für den Manager gut anfühlt, die Probleme der Gegenwart abzuarbeiten. Das hat eine psychologisch erleichternde Wirkung und bestätigt ihn in seiner Schaffenskraft.

Sie identifizieren verschiedene Mythen, an die viele Führungskräfte glauben. Wie kommen Sie darauf?

Houben: Wir haben uns gefragt: Warum entwickelt sich Führung eigentlich nicht, warum passt sie sich nicht an Herausforderungen des 21.?Jahrhunderts an? Die Antwort: Weil zu viele der Topmanager an den klassischen Mythen der Führung unhinterfragt festhalten, also an Denkroutinen und unhinterfragten Leitbildern.

Was meinen Sie konkret?

Dierke: Es gibt den Heldenmythos. Der besagt, dass die Führungskraft mit flammendem Schwert vorangeht und versucht, ihre Lösung durchzusetzen. Da geht es weniger um die Sache, sondern um die Durchsetzung der eigenen Perspektive. Beim Mythos der starken Hand gilt der Grundsatz, dass die Führungskraft immer Überlegenheit und Dominanz zeigen, sollte. Dabei sollte man Verletzlichkeit, Schwäche oder Unsicherheit zulassen, zugeben und als produktive Kraft nutzen. Dadurch lässt man auch die Perspektiven anderer einfließen.

Houben: Der Angst-Mythos beschreibt, dass viele Führungskräfte Ängste leugnen und ignorieren. Aber fast alle haben Angst zu versagen. Die große Gefahr dabei ist, dass diese Menschen dazu neigen, Druck und Angst im Betrieb zu verbreiten. Der Mythos des rationalen Managers lässt Intution, Gespür und Emotion außen vor.

Sie beschreiben auch den Siegermythos, bei dem Manager und ihre Unternehmen immer Gewinner gegenüber der Konkurrenz sein wollen, statt zu kooperieren. Ist das ein männliches Phänomen?

Dierke: Ganz oben an der Unternehmensspitze verhalten Frauen sich genauso. Frauen sind da teilweise sogar die härteren Rugby-Spieler, weil sie sich unter der besonders harten Konkurrenz von Männern durchsetzen mussten. Es ist leider eine illusionäre Hoffnung, dass man dort oben lauter emotional intelligente Frauen findet, die auf Dialog und Ausgleich setzen.

Sie nennen die neuen Führungskräfte auch „bescheidene Revolutionäre“. Was bedeutet dieser Begriff denn?

Dierke: Wir brauchen keinen glühenden Eiferer, sondern einen bescheidenen Revolutionär. Jemanden, der Dinge wie Geschäftsmodelle, Strategien oder Unternehmenskulturen, fundamental in Frage stellt und grundlegende Veränderung anstrebt, weil sich die Welt so fundamental ändert.

Houben: Eine Führungskraft sollte unbescheiden in der Ambition sein, mutig die großen Fragen stellen, aber persönlich bescheiden im Auftritt und im Denken. Wir kennen davon leider nur wenige in Deutschland.

Warum?

Dierke: Das neue Denken kommt eher aus den USA. Unternehmen, die sehr inovativ und kreativ sind, brauchen eine Kultur, die die kollektive Intelligenz nutzt. Deutschland ist in vielen Fällen nicht gerade Weltspitze bei Innovationen. Wir sind Weltmeister in vielen Produkten der letzten industriellen Revolution und damit eher technikorientiert.

Houben: Ich denke, es liegt auch an der Ausbildung der Führungskräfte hierzulande. Da sind viele Ingenieure oder Betriebswirte dabei, die haben Ausbildungen durchlaufen, die ein stark mechanistisches Weltbild prägen. In den USA studieren spätere Führungskräfte nach Betriebswirtschaft zum Beispiel noch „Liberal arts“ – „Freie Künste“.

Für Ihren Ansatz muss man allerdings auch Mut als herausragende Eigenschaft mitbringen – oder?

Houben: Genau, Mut, Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen. Man muss auch selbstgewiss sein und einen starken inneren Kompass haben. Man muss bereit sein, Risiken einzugehen.

Sie müssen doch auch selbst ziemlich mutig sein, wenn Sie mit Ihrem herausfordernden Management-Konzept in die Führungsetagen der Unternehmen gehen und dort Kritik üben. Wie reagieren die Chefs darauf?

Dierke: Zumeist prüfen sie zuerst, ob wir uns auf Augenhöhe bewegen. Wenn sie hören, dass es darum geht, dass sie besser werden, horchen sie auf. Chefs sind zumeist ehrgeizig, sie wollen überall gut sein, sei es im Beruf oder beim Golfen.

Houben: Sie merken auch schnell, dass wir keine Wattebällchen-Werfer sind, sondern sie herausfordern. Aber der Stachel, den wir ihnen ins Fleisch stechen, verwundet nicht, er spornt an. Wir kritisieren wertschätzend, weil wir die Herausforderungen und die Komplexität der Situationen erkennen.

Kann man Ihr Führungskonzept auch auf andere Organisationen oder Bereiche ausweiten – die Familie zum Beispiel?

Houben: Man kann sie auf jede Form von Institution und Organisation wie auch Parteien oder Verbände anwenden. Die Familie ist eine zu kleine Organisation.

Dierke: Wobei wir selbst keine Kinder haben, dafür aber zwei Hunde. In diesem Zusammenhang sind wir eher im Helden-Mythos unterwegs, damit sie auf uns hören.

Trainer und Autoren mit Leitungserfahrung

Anke Houben und Kai Dierke. Foto: Privat

Anke Houben und Kai Dierke. Foto: Privat

Seit 20 Jahren sind Anke Houben und Kai Dierke als Führungscoaches in den obersten Etagen der Unternehmen präsent. Als Führungskräfte ohne Führungsinstrumente bezeichnen sie sich in dieser Position, sie seien selbst bereit, ins Risiko zu gehen und herauszufordern. Dem Autorenpaar ist die Welt an der Unternehmensspitze auch direkt vertraut: Kai Dierke war als Vorstand eines globalen Schweizer Finanzkonzerns tätig und zuvor Berater bei McKinsey. Anke Houben arbeitete als Managerin in verschiedenen Leitungspositionen bei Bertelsmann und danach als Beraterin bei Arthur D. Little. Neben ihrer Arbeit mit Top-Managern liegt beiden am Herzen, eine neue, souveräne Führungsgeneration heranzubilden.

Das Buch „Die sieben Mythen der Führung: Ein Neuanfang“ ist als gebundene Ausgabe bei Orgshop GmbH erschienen und umfasst 308 Seiten.