Tübingen · Paläontologie

Forschung an Knochen

Der Kadaver eines Langhals-Sauriers wurde im Jura zur Speisekammer. Verschieden große Artgenossen taten sich immer wieder an ihm gütlich.

28.10.2020

Von ST

Die von den Wissenschaftlern liebevoll „Dino-Hügel“ genannte Grabungsstätte befindet sich im Junggar-Becken im Nordwesten Chinas, das auch Dsungarisches Becken genannt wird.Bild: Andreas Matzke

Die von den Wissenschaftlern liebevoll „Dino-Hügel“ genannte Grabungsstätte befindet sich im Junggar-Becken im Nordwesten Chinas, das auch Dsungarisches Becken genannt wird.Bild: Andreas Matzke

Der Kadaver eines rund 20 Meter langen Langhals-Sauriers im Junggar-Becken im Nordwesten Chinas diente mehreren anderen Dinosauriern als Nahrung. Davon zeugen Bissspuren auf den Knochen sowie mehrere zu den Spuren passende Dinosaurierzähne, die neben den Knochen gefunden wurden. Ein Forscherteam unter der bisherigen Leitung des kürzlich verstorbenen Professors Hans-Ulrich Pfretzschner aus den Geowissenschaften der Universität Tübingen geht aufgrund der „immensen Zahl an Bissspuren“ davon aus, dass der Kadaver über einen längeren Zeitraum als Fressplatz diente.

Die Knochen und Zähne blieben durch günstige klimatische und geologische Bedingungen über 160 Millionen Jahre im Zusammenhang erhalten. Für die Paläontologen ist das ein „seltener Glücksfall“, wie sie in einer Pressemitteilung bekanntgeben: Denn über das Fressverhalten großer fleischfressender Raubsaurier ist bisher wenig bekannt. Ihre Studie ist in der Fachzeitschrift „Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology“ erschienen.

„An dem Kadaver des Langhalssauriers aus der Familie der Mamenchisauriden haben mindestens ein großer fleischfressender Saurier von rund 7,5 Metern Länge und ein kleinerer von etwa 3 Metern Länge gefressen“, sagt Felix Augustin, der Erstautor der Studie. Die meisten Bissspuren auf den Knochen und vier Zähne stammten demnach von dem großen Fleischfresser, einem Carnosaurier. „Teilweise passen die Zähne genau in die Löcher in den Knochen hinein.“ Anzunehmen sei, dass den Tieren die Zähne beim Fressen ausgefallen seien. Der kleinere Landsaurier, der zu dem Fressplatz kam, ließ sich aufgrund eines weiteren Zahnfunds den Coelurosauriern zuordnen, einer vielfältigen und global verbreiteten Sauriergruppe. Deutlich kleinere Bissspuren am selben Gerippe des Langhalssauriers hatte das Forscherteam in einer früheren Studie bereits als früheste bekannte Nachweise beschrieben, dass Säugetiere auch Dinosaurierfleisch fraßen (wir berichteten).

Die Funde stammen weiterhin aus dem Junggar-Becken in der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas. Dort hatten Forscherinnen und Forscher einer chinesisch-deutschen Expedition im Jahr 2000 zahlreiche Fossilien von Wirbeltieren wie Schildkröten und Krokodilen, Dinosauriern und Säugetieren aus dem Jura, der Zeit vor etwa 160 Millionen Jahren, ausgegraben. Die Knochen und Zähne werden zurzeit in Tübingen aufbewahrt und wurden in rund einem Jahr in der Wirbeltierpaläontologie der Uni erneut gesichtet.

Viele Knochen des Langhalssauriergerippes waren vielfach gebrochen, teilweise sogar zersplittert. „Ein großes Tier muss beim Besuch am Fressplatz die Knochen regelrecht zertrampelt haben, vermutlich waren das die großen fleischfressenden Saurier“, sagt Augustin. Anders hätten sich die Funde aus dem Oberjura vor 160 Millionen Jahren nicht erklären lassen. Manche der Knochen seien möglicherweise teilweise oder ganz gefressen worden. „Beides kommt bei fleischfressenden Dinosauriern selten vor. Bisher ist es hauptsächlich von Tyrannosauriern bekannt.“

Fundstätte für vieles

Das Junggar-Becken in der chinesischen Provinz Xinjiang ist für Wissenschaftler von großem Interesse. Es spielte eine zentrale Rolle in der geotektonischen Entwicklung Zentralasiens und beherbergt ungewöhnlich viele Fundstellen für die Überreste fossiler Pflanzen und Wirbeltiere. Aufgrund ihrer Bodenschätze, vor allem Kohle, Erdöl und Erdgas, hat die Region eine große wirtschaftliche Bedeutung.