Abgas-Versuche: Wenig Risiko, wenig Erkenntnis

Forschung am Menschen ist wichtig, sagt Ethiker Urban Wiesing ·Stickoxid-Tests hält er für töricht

Sind Versuche an Menschen unethisch? Versuche an Menschen sind auf jeden Fall Alltag – in einer Wissenschaftsstadt wie Tübingen.

31.01.2018

Von Angelika Bachmann

Für Forschung am Menschen gilt eine strenge Risiko-Nutzen-Abwägung, sagt der Ethiker Urban Wiesing. Bild: ©Gino Santa Maria - stock.adobe.com

Für Forschung am Menschen gilt eine strenge Risiko-Nutzen-Abwägung, sagt der Ethiker Urban Wiesing. Bild: ©Gino Santa Maria - stock.adobe.com

Mehr als 900 Projekte mit Forschung an Menschen berät oder genehmigt die Ethik-Kommission der Universität Tübingen jedes Jahr, sagt der Medizinethiker und stellvertretende Vorsitzende dieser Kommission, Prof. Urban Wiesing. Dabei komme es immer auf die Risiko-Nutzen-Abwägung an.

Seit bekannt wurde, dass die Autoindustrie die Wirkung von Stickstoffdioxiden an Menschen und Affen testen ließ, ist bundesweit eine heftige Debatte über Menschenversuche entbrannt. Bei den angeprangerten Versuchen wurden die Probanden drei Stunden lang einer Stickstoffdioxid-Menge ausgesetzt, wie sie bis 2009 an Arbeitsplätzen erlaubt war. Die Studie weise gewisse handwerkliche Mängel auf, die aber nicht so gravierend seien, dass eine Ethik-Kommission sie prinzipiell ablehnen müsste, sagt Wiesing. Der potenzielle Erkenntnisgewinn sei zwar mäßig, das Risiko für die Probanden aber minimal. „Das kann man schon machen.“

Eine andere Frage sei die politische Bewertung. Es war ja zu erwarten, dass bei der Studie wenig herauskommen würde. „Das ist so, als würde die Tabakindustrie in einer Studie zwanzig gesunde Männer jeweils eine Zigarette rauchen lassen mit der Fragestellung, ob einer von ihnen tot umfällt“, sagt Wiesing. „Es ist politisch töricht, solche Versuche zu machen.“ Bei der Abgasproblematik gehe es nicht um eine Exposition von drei Stunden, sondern um eine Dauerbelastung – auch von Menschen mit Atemwegserkrankungen. Die Studie sei von der Automobilindustrie mit absehbarem Ziel finanziert worden. „Das ist ein Problem.“

Absolute Transparenz

Bedeutet das auch einen Imageschaden für die Wissenschaft? Wiesing: „Ein Großteil der Forschung hierzulande ist von der Finanzierung durch die Industrie abhängig. Dem müssen wir eine gute, freie universitäre Forschung entgegenhalten.“ Absolute Transparenz sei deshalb geboten. Außerdem sei es wichtig, dass auch negative Resultate, die nicht im Sinne des Auftraggebers waren, publiziert werden. Dafür gebe es klare Regeln – diese würden aber auch an Universitäten nicht immer eingehalten.

An der Universität Tübingen prüft die elfköpfige Ethik-Kommission alle Anträge auf Forschung am Menschen. Das sind mehr als 900 pro Jahr, sagt Wiesing. Die Projekte sind ganz unterschiedlicher Natur und unterschiedlich invasiv. Manchmal wird Patienten lediglich Blut abgenommen – etwa um den Zusammenhang zwischen Erkrankungen und genetischer Veranlagung zu ergründen. In anderen Fällen werden neue Medikamente getestet – in einer ersten klinischen Phase zumeist an gesunden Menschen, um die prinzipielle Verträglichkeit zu testen.

Forschungsvorhaben können so weit gehen, gesunde Menschen vorübergehend zu infizieren: Seit 2012 wurden am Tropenmedizinischen Institut der Uni Tübingen 160 gesunde Probanden in Doppelblind-Studien Malaria-Parasiten gespritzt, um neue Impfstoffe zu testen. Wirkt die Impfung, bleibt eine Infektion aus. Wirkt sie nicht oder gehört der Proband der Kontrollgruppe an, breiten sich innerhalb weniger Tage Parasiten im Blut aus. Dort können sie auch nachgewiesen werden. Man kann die Infektion zu diesem Zeitpunkt problemlos und garantiert stoppen, bevor der Proband tatsächlich krank werde, so Prof. Benjamin Mordmüller, stellvertretender Institutsdirektor der Tropenmedizin.

Sind solche Versuche ethisch vertretbar? „In unserem Gebiet sind die kommerziellen Interessen nicht so groß“, sagt Mordmüller. Deshalb habe man nur einen Bruchteil des Budgets, das etwa für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Medikamenten zur Verfügung stehe. Gleichzeitig gehöre Malaria mit 1 Million Toten pro Jahr zu den tödlichsten Erkrankungen der Welt. Wenn man frühzeitig erkenne, welche Impfstoffe vielversprechend seien, könne man schneller wirksame Präparate entwickeln.

Über diese Studie habe man in der Ethik-Kommission lange diskutiert – und sie schließlich genehmigt, sagt Wiesing. Die Mediziner hätten plausibel gemacht, dass bei Einhaltung der Regeln keine Möglichkeit bestehe, dass die Probanden eine Malaria entwickeln. Der weltweite gesellschaftliche Nutzen dieser Studien und der Beitrag zur Entwicklung von Malaria-Impfstoffen sei dagegen enorm. „Wäre dasselbe Risiko entstanden für ein Medikament, mit dem Pickel behandelt würden, hätten wir das vermutlich nicht genehmigt.“

Ethik und Recht

Alle Forschungsprojektean Menschen müssen in Deutschland von einer Ethik-Kommission beraten oder genehmigt werden. An der Universität Tübingen gehören der Ethikkommission elf Mitglieder an, ihr Vorsitzender ist der ehemalige Chef der HNO-Klinik, Hans-Peter Zenner. Stellvertreter sind Urban Wiesing und der Internist Dieter Luft. Die Kommission berät zu ethischen und rechtlichen Aspekten medizinischer Forschung am Menschen.