Handel

Flaschenhals Weltmeere

Die Lieferketten sind durch Corona gestört, vor allem in der Schifffahrt hakt es. Das wirkt sich jetzt auch auf Kunststoffe und Discounter-Aktionsware aus.

14.05.2021

Von CAROLINE STRANG

Viele Waren werden auf Containerschiffen transportiert. Die allerdings landen derzeit manchmal in falschen Häfen. Foto: Johannes Eisele/afp

Viele Waren werden auf Containerschiffen transportiert. Die allerdings landen derzeit manchmal in falschen Häfen. Foto: Johannes Eisele/afp

Ulm. Liebe Kundin, lieber Kunde“, lautet die Ansprache auf der Internetseite des Discounters Lidl, „leider kommt es momentan zu Lieferengpässen aus Asien bei unseren Werbeaktionen. Wir bitten um Verständnis und entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten.“ Im Netz gibt es Stimmen enttäuschter Kunden, die vergeblich frühmorgens für bestimmte Produkte vor den Filialen angestanden sind – und dann leer ausgehen. Auf Nachfrage antwortet ein Pressesprecher mit einem einzigen Satz: „Aufgrund der Havarie der ,Ever Given' im Suez-Kanal kam es in den letzten Wochen vereinzelt zu Lieferverzögerungen.“

Lidl ist mit dem Problem beileibe nicht allein, auch andere Händler melden Verzüge und einige Hersteller schlagen sogar Alarm. Seit Wochen macht der Mangel an Computerchips Schlagzeilen. Nun wird ein Grundelement vieler Produkte knapp: Kunststoff.

Der Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie (GKV) warnt: Ausbleibende Kunststofflieferungen hätten bereits zu Einschränkungen der Produktions- und Lieferfähigkeit geführt. „Nun setzen teilweise drastische Preissprünge bei Kunststoffen die überwiegend mittelständischen Kunststoff-Verarbeiter noch mehr unter Druck“, schreibt der Verband.

Die Gründe für die schwierige Situation der Kunststoff-Branche sind vielfältig: Die Nachfrage nach Rohstoffen ist in China früher wieder gestiegen als in Europa und den USA. „Verschärft wurde die Situation Anfang des Jahres durch Anlagenausfälle in den USA infolge des Wintereinbruchs und geplante Wartungsarbeiten in europäischen Anlagen“, schreibt der GKV. Es gebe auch ein Ungleichgewicht von Nachfrage und Angebot von Kunststoffprodukten. Außerdem sind die Ölpreise gestiegen, das verteuert die Produktion von Kunststoff.

„Bei vielen Produkten gab es eine sprunghaft gestiegene Nachfrage – zum Beispiel nach Webcams und Headsets für das Homeoffice seit dem ersten Shutdown“, bestätigt Eva Stüber vom Institut für Handelsforschung (IFH) Köln. Das Problem: „Wenn gestiegene Nachfrage auf instabile Lieferketten trifft, multipliziert sich das Ganze.“

Der Transport als Seefracht ist laut Stüber wegen der Corona-Pandemie zu einer größeren Herausforderung geworden. So lagen Container, die in Asien benötigt wurden, in US-Häfen. Frachtkapazitäten waren und sind nicht dort, wo sie gebraucht werden, also am Produktionsort. „Damit steigen die Frachtpreise und es gibt immer noch zu wenig Kapazitäten.“

Wegen der Havarie im Suez-Kanal sei die Situation nochmal verschärft worden, sagt Stüber. Da habe sich einiges aufgestaut. „Man kann sich die Lage ein bisschen vorstellen wie bei der Bahn: Wenn ein Zug verspätet ist, hat dies meist weitere Verspätungen zur Folge.“

Oft liege es an einfachen Dingen: Wenn beispielsweise irgendwo Europaletten fehlten, könnten Waren nicht transportiert werden. Die Produktions- und Logistiksysteme seien sehr vielschichtig und komplex.

Vor der Pandemie haben Unternehmen auf Just-in-Time-Belieferung gesetzt, also wenig Einzelteile und Ware auf Lager gehalten. „Bis Störungen über alle Wertschöpfungsstufen behoben sind, dauert es, bis alles wieder läuft“, sagt Stüber.

Für die Verbraucher kann das Folgen haben. Waren sind zeitweise nicht verfügbar oder haben längere Lieferzeiten und es kann zu Preissteigerungen kommen. „Gerade im Elektronikbereich hat sich der Preisverlauf verändert“, erklärt Stüber. Zuvor seien Produkte oft sehr schnell günstiger geworden, weil der nächste Zyklus anstand, dieser Preismechanismus sei ausgehebelt.

Vor diesem Hintergrund stellen sich Unternehmen krisenfester auf. „Wir sehen erste Hersteller, die angekündigt haben, ihre Produktionsstätten nach Europa zu verlegen.“ Die Themen Nachhaltigkeit und Risikominimierung erhielten eine höhere Priorität.