Museum der Universität Tübingen

Schatz des Monats: Fischfang mit dem „mutu“

Ein polynesisches Auslegerboot vom Atoll Nukufetau in Tuvalu.

13.10.2021

Von Stefanie Hildebrand

Volker Harms, der hier neben dem Auslegerboot zu sehen ist, wird heute achtzig Jahre alt. Bild: Susanne Eberspächer

Volker Harms, der hier neben dem Auslegerboot zu sehen ist, wird heute achtzig Jahre alt. Bild: Susanne Eberspächer

Im Zuge der aktuellen Debatten über ethnologische Museen taucht neben der Frage, wie die Objekte in die Sammlungen kamen, auch der berechtigte Zweifel auf, ob und, wenn ja, wie ein Sammeln in der Gegenwart noch möglich ist.

In der ethnologischen Lehrsammlung der Universität Tübingen befindet sich ein Objekt aus den 1980er-Jahren, dessen Erwerbs- und Herstellungsprozess ausführlich dokumentiert wurde: ein polynesisches Auslegerboot vom Atoll Nukufetau des Inselstaates Tuvalu. Das Boot entspricht dem Typus „mutu“ und ist ausgerichtet für den Fischfang in der Lagune.

Es wird einerseits durch eine umfassende Fischfangausrüstung sowie Paddel und Ösfässer zum Ausschöpfen des Spritzwassers ergänzt; andererseits durch zwei verschiedene Formen des Segels aus Baumwolltuch sowie einem traditionellen aus Palmblattgeflecht. Dieses Boot ist Bestandteil eines Konvoluts materieller Kultur zweier Atolle des Inselstaates Tuvalu sowie der Inseln Wallis und Futuna. Es wurde von Volker Harms, dem damaligen Kustos der Ethnologischen Sammlung, während seiner Feldforschung im Jahr 1987 erworben.

Den Ausgangspunkt seiner Forschungsreise zu den Atollen des Inselstaates Tuvalu bildete nicht nur die Beschaffung eines mit Segel bestückten Auslegerboots, sondern auch das Interesse am Wandel der materiellen Kultur jener Atolle, der durch externe Einflüsse, insbesondere durch die Verwendung von außen kommenden Materialien zustande gekommen war. Den Dialog, der vor und während des Herstellungsprozesses des Auslegerbootes aus Nukufetau stattfand, beschrieb Volker Harms ausführlich. Er veranschaulicht die Wirkung, die der individuelle Dialog zwischen Objektsammlern und Objektproduzentinnen und -produzenten auf die Eigenarten der gesammelten Ethnographica ausübt.

Im Dialog mit dem Baumeister

Das Auslegerboot wurde mit Blick auf eine mit diesem Objekt geplante Ausstellung erworben und bei dem damaligen Bootsbaumeister Bokia vor Ort in Auftrag gegeben. Beauftragt wurde ein auf dem Atoll übliches kleines Auslegerboot. Laut Volker Harms entstand nur ein Teil dieses Gesamtkomplexes „Auslegerboot vom Atoll Nukufetau in Tuvalu“ direkt aus dem Dialog zwischen ihm und dem Bootsbaumeister Bokia. Dazu gehören das Auslegerboot selbst sowie die beiden Segel mit ihren Masten. Die weiteren Gegenstände verdanken sich nur indirekt diesem Dialog. Der Bootsbaumeister Bokia fügte sie nach eigenem Ermessen hinzu.

Kokosschnüre bleiben sichtbar

Was das nun in die Ethnographische Sammlung der Universität Tübingen aufgenommene Auslegerboot von allen im Jahre 1987 auf dem Atoll Nukufetau in Gebrauch befindlichen Auslegerbooten unterscheidet, ist der Umstand, dass es keinen Schutzanstrich aus Teerfarbe hat. Es stellt ein zum Zeitpunkt seiner Herstellung auf dem Atoll Nukufetau gebräuchliches Auslegerboot dar, aber keines, das dort bereits verwendet worden war.

Die Bestimmung des Bootes für eine Ausstellung führte dazu, dass der übliche Schutzanstrich mit Teerfarbe unterblieb, den die Besitzerinnen und Besitzer der Herkunftsgesellschaft der Boote selbst vornahmen. Für die Übernahme in die ethnologische Sammlung musste es laut Volker Harms jedoch bei seinem „Rohzustand“ bleiben, weil viele der Konstruktionsprinzipien, etwa das Verbinden der Einzelteile des Hauptrumpfes durch Kokosschnüre in einer Verschnürungstechnik durch die Teerfarbe unsichtbar gemacht worden wären.

Um diesen Zustand des Bootes zu verstehen, ist die sorgfältige Dokumentation des Dialogs zwischen Objektsammlern und Objektproduzenten sowie des Sammlungskontextes unverzichtbar. Auf diese und andere Aspekte des aktuellen Diskurses um ethnologische Museen und deren Sammlungen hat Volker Harms schon in den 1980er-Jahren, unter anderem auch mit Ausstellungen wie „Andenken an den Kolonialismus“ verwiesen.

Info In der Reihe „Schatz des Monats“ stellen die Kustodinnen und Kustoden des Schlosses die Highlights der Dauerausstellung vor. Das Museum der Universität Tübingen MUT ist geöffnet Mi bis So 10 bis 17 Uhr, Do bis 19 Uhr. Info und Führungen: 0 70 71/29-7 75 79. Am Samstag, dem 16. Oktober, um 18 Uhr, wird der aktuelle Schatz des Monats mit einem Empfang im Schlosshof präsentiert.