Invasive Arten

Feuer frei auf Nilgänse und Co.

Wie geht man mit tierischen Eindringlingen in die heimische Fauna um? Managen oder Erlegen sind die Optionen. Das Agrarministerium will die unerwünschten Tiere stärker bejagen lassen.

08.01.2021

Von LSW

Eine Plage für Tiere und Menschen: Nilgänse vertreiben andere Vögel und verkoten Schwimmbäder. Foto: Lennart Stock/dpa

Eine Plage für Tiere und Menschen: Nilgänse vertreiben andere Vögel und verkoten Schwimmbäder. Foto: Lennart Stock/dpa

Heidelberg. Sie beschmutzen Liegewiesen und verscheuchen Schwäne, vertilgen Wintergetreide und verkoten Schwimmbäder: Nilgänse sind eine Plage für Mensch und Tier. Sogar auf dem Turm der Heidelberger Heiliggeistkirche hätten die Vögel die Wanderfalken vertrieben, sagt der Heidelberger Kreisjägermeister Heinz Kaltschmidt. Sie seien nur mittels lärmauslösender Sensoren davon abzuhalten gewesen, sich dort dauerhaft einzunisten. Er habe in der Jagdsaison 35 bis 40 davon erlegt, einige mehr als zuvor. „Die einheimischen Tierarten werden immer mehr verdrängt, die biologische Vielfalt leidet.“

Nach Angaben des Landesjagdverbandes sind im Jagdjahr 2018/19 (Beginn März) rund 1300 Nilgänse oder ein Drittel mehr als im Jahr zuvor erlegt worden. „Und die Zahl wird noch mal stärker ansteigen“, sagt der Geschäftsführer Erhard Jauch, dessen Verband 33 500 Jäger im Südwesten vertritt.

Dieser Entwicklung will jetzt auch Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) Rechnung tragen. In der geplanten neuen Durchführungsverordnung (DVO) des Jagd- und Wildtiermanagementgesetzes Baden-Württemberg sagt das Agrarministerium den invasiven Arten wie Nilgans und Co. den Kampf an. Zu den Eindringlingen gehören auch der Waschbär, die Nutria, der Marderhund und der Mink.

Die Anhörung der Verbände zu den Neuerungen ist abgeschlossen. Ihre Statements werden ausgewertet und, wo es sinnvoll erscheint, eingearbeitet, sagt ein Sprecher des Agrarministeriums.

Längere Jagdzeiten

In der vorgesehenen Novelle der DVO werden die Jagdzeiten für invasive Arten deutlich verlängert – für die Nilgans um zwei Monate. Sie soll vom 1. August bis zum 15. Februar gejagt werden dürfen. Das gilt auch für die weit verbreitete, aber weniger angriffslustige Kanadagans. Überdies dürfen den Plänen zufolge anders als bisher Jungtiere unter anderem der Nilgans, der Nutria, des Marderhunds und des Waschbärs ganzjährig außerhalb der allgemeinen Schonzeit vom 16. Februar bis 15. April gejagt werden.

Die Jäger befürworten das, finden aber eine andere Regelung nicht ausreichend: Grau- und Kanadagans sollen auch in der Schonzeit in bestimmten Vogelschutzgebieten gejagt werden dürfen. Dazu zählt auch der Zugriff auf ihre Eier, Nester und Lebensräume. Jägervertreter Jauch: „Unter diese Regel müssten auch die Nilgänse fallen, merkwürdig, dass die aggressivste Art verschont bleiben soll.“

Der Nabu Deutschland verschließt zwar nicht die Augen vor den Problemen, die Nilgänse verursachen, sieht aber noch keine andere Art durch sie in ihrem Bestand gefährdet. Die Nilgans fällt aus seiner Sicht unter das Naturschutz- und nicht das Jagdrecht. „Die Jagd hat immer das Töten zum Zweck des Verzehrs als Ziel, doch die Nilgänse brauchen eher das Wildtiermanagement“, sagt der Nabu-Wildtierexperte Rolf Müller.

Das Zauberwort im Wildtiermanagement heißt „Vergrämung“, also der Versuch, die von unerwünschten Arten vornehmlich besiedelten Räume für sie weniger attraktiv zu machen. Bei den Nilgänsen sind das gemähte Wiesen, auf denen sie besonders gerne fressen. Deshalb sollten auf innerstädtischen Flächen nach Ansicht der Naturschützer Gräser lang wachsen dürfen, das komme auch vertriebenen Insektenarten zugute, sagt der Nabu.

Kaltschmidts Jäger-Kollege Volker Rutkowski sieht keinen Widerspruch zwischen Naturschutz und Jagd. „Wir sind staatlich anerkannte Naturschützer und dürfen als Einzige in die Natur eingreifen“, sagt der Sprecher der Heidelberger Jägervereinigung.

Aus Sicht der Jäger allerdings gehen das Erlegen von invasiven Tieren zum Zwecke ihrer Eindämmung und deren Verzehr Hand in Hand. Kaltschmidt verkauft geräucherte Nilgansbrust zu 60 Euro das Kilo an die Gastronomie.

130 000 Waschbären erlegt

Diesen kulinarischen Nebenaspekt hat die Jagd auf den zweiten großen Eindringling nicht aufzuweisen – den Waschbär. Im Jagdjahr 2018/19 wurden in Baden-Württemberg 2500 der ursprünglich aus Pelzfarmen entflohenen Tiere erlegt. „Brandenburg zählt 33 000 erlegte Tiere“, sagt Rutkowski. Deutschlandweit waren es 130 000.

Die Waschbären sind Räuber, die es auf Gelbbauchunken, Kreuzkröten, Eidechsen und Bodenbrüter in Flussnähe abgesehen haben. Das kleine Raubtier macht auch vor Wohngebieten nicht Halt, wenn sich dort Nahrung in Form von Obstbäumen oder leicht zugänglichen Mülltonnen anbietet. Größere Vorkommen gibt es im Schwäbisch-Fränkischen Wald sowie im Welzheimer und Schurwald.

Die Jäger bemängeln, dass in dem Verordnungsentwurf keine Nutzung von Kofferfallen für Waschbären vorgesehen ist. Sie ähneln einem Reisekoffer, der zusammenschnappt, wenn ein Tier vom darin ausgelegten Köder angelockt wird.

Diese Falle habe sich in anderen Bundesländern weit effektiver als die bisher genutzten Drahtfallen erwiesen, sagt Jauch. In beiden Fällen folgt der Abschuss der Tiere nach Entnahme aus der Lebendfalle.

Auch der Nabu sieht beim Waschbären dringenden Handlungsbedarf. Er sei ein fabelhafter Kletterer, der die Nester von Greifvögeln plündere, darunter die des schutzbedürftigen Rot-Milans. Allerdings ist der Nabu aus Tierschutzgründen gegen die Fallenjagd – außer zu wissenschaftlichen Zwecken oder zum Schutz seltener Arten wie Trappen und Sumpfschildkröten.

Die gefangenen Tiere würden einem erheblichen Stress ausgesetzt, sagt Müller. Auch hier sei Management erforderlich. Die Menschen müssten aufgeklärt werden, die Tiere nicht durch Nahrungsangebote wie Katzenfutter und offenen Kompost anzulocken. Julia Giertz

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Erstellt:
08.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 08.01.2021, 06:00 Uhr

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