Welthandel

Fette Jahre für Getreidebauern

Die Preise für Weizen und Gerste steigen extrem. Verlierer sind die Viehhalter, die deutlich mehr für Tierfutter zahlen müssen. Werden bald die Lebensmittel teurer?

22.05.2021

Von CAROLINE STRANG (MIT DPA)

Ernte in der Agrargenossenschaft „Hellbach“. Mit Getreide lässt sich derzeit gutes Geld verdienen. Foto: Henning Kaiser/dpa

Ernte in der Agrargenossenschaft „Hellbach“. Mit Getreide lässt sich derzeit gutes Geld verdienen. Foto: Henning Kaiser/dpa

Ulm. Bei der Erntebilanz im August vergangenen Jahres klagte der Bauernverband noch über „geringe Erntemengen an Getreide in Verbindung mit wenig zufriedenstellenden Preisen“. Zumindest beim Thema Preise stimmt diese Aussage mittlerweile nicht mehr. Schon vor dem Jahreswechsel zogen sie deutlich an – und bisher ist kein Ende der Preisspirale abzusehen. Experten sprechen von „historischen Preisausschlägen“. Im März kostete Getreide im Durchschnitt 25,2 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Die Erzeugerpreise für Weizen lagen im Bundesgebiet in der vergangenen Woche bei rund 217 Euro pro Tonne, je nach Sorte.

Die Welternährungsorganisation FAO beobachtet schon seit geraumer Zeit steigende Preise bei praktisch allen Agrarrohstoffen. Der FAO-Preisindex für Nahrungsmittel lag nach jüngsten Daten im April 31 Prozent über dem Vorjahreswert, nach 11 monatlichen Anstiegen in Folge sei inzwischen der höchste Stand seit sieben Jahren erreicht.

Gründe für die hohen Getreidepreise sind teilweise schlechtes Wetter, Fehlernten und geringere Anbaumengen. Ausschlaggebend ist aber die Nachfrage auf dem Weltmarkt, die sich stärker entwickelt hat als von Experten geschätzt. „Die Ernten fielen eigentlich gar nicht so schlecht aus, aber China ist als unerwarteter Nachfrager am Markt aufgetaucht“, erklärt Wienke von Schenck, Marktexpertin Getreide bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (Ami).

Die Schweinebestände in Fernost hätten sich nach der Afrikanischen Schweinepest schneller erholt als erwartet. „Mit immensen Anstrengungen wird die Produktion wieder hochgefahren, zum Beispiel mit Schweinemast-Hochhäusern, die sehr weit weg sind von einer bäuerlichen Landwirtschaft.“ Weil China selbst zu wenig anbaut, um die Tiere versorgen zu können, haben die Schweinemäster dort „auf einmal 40 Millionen Tonnen Futtergetreide gebraucht, davon 10 Millionen Tonnen Mais“. Das seien Zahlen, die den Markt und die Preise nach oben treiben, erklärt die Ami-Expertin.

Ganz lapidar fasst Klaus Josef Lutz, Vorstandschef des Münchner Mischkonzerns Baywa, die Vorgänge zusammen: „Die Chinesen kaufen alles, was geht.“ Das werde auch die internationale Einlagerungsquote nach unten ziehen, also die Vorräte. Ein weiterer Grund: Noch vor dem Jahreswechsel bekam Russland, der größte Weizenanbieter der Welt, kalte Füße. „Um die inländische Versorgung zu schützen, hat die russische Regierung eine Exportquote und Zölle eingeführt“, erklärt von Schenck. Und wenn der Hauptanbieter 10 Prozent Zoll draufschlage, hebe sich der Preis auf dem Weltmarkt automatisch auch um diesen Wert, schließlich wollten die anderen dann auch nicht billiger anbieten.

Viele Landwirte haben angesichts der hohen Preise schon zu Jahresende verkauft, was sie hatten, wie die Expertin sagt. „Nun sind sie gelackmeiert, weil die Preise immer weiter gestiegen sind.“ Die aktuellen Preissteigerungen nützten vielen Bauern so nur in den Vorkontraktpreisen für die diesjährige Ernte. Gestraft seien vor allem Viehzüchter. „Die zahlen plötzlich immens mehr fürs Tierfutter.“

Und die Verbraucher? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Von Schenck kann sich vorstellen, dass der Einzelhandel die Preise geringfügig anhebt und als Rechtfertigung die Kosten für Getreide nennt. Aber: „Eigentlich liegt der Anteil von Mehl an den Kosten eines Brötchens bei unter 5 Cent. Also erwarte ich keinen riesigen Preissprung.“

Der Vorstandsvorsitzende des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse, Thorsten Tiedemann, ist da etwas pessimistischer: „Wenn sich die Preise noch eine Weile so halten für Pflanzenöle und für Getreide, dann wird sich das innerhalb einiger Monate sicherlich in den Lebensmittelpreisen auch im Supermarkt niederschlagen“, sagt er. Vor allem die Fleischproduktion werde sicherlich teurer werden durch Futter. Auch bei Produkten wie Mehl und Pflanzenöl dürfte der Weltmarkttrend nach seiner Einschätzung auf die Verbraucherpreise durchschlagen. Die Auswirkungen in anderen Teilen der Erde sind aber weitaus größer. Ägypten ist einer der größten Weizenimporteure der Welt. Dort subventioniert die Regierung das Brot, das für Verbraucher immer gleich viel kostet. „Da muss die Regierung nun viel mehr für den Importweizen bezahlen“, sagt Schenck. Dritte-Welt-Länder könnten sich gar keinen Importweizen mehr leisten. Und manche Staaten, die sonst gar nicht exportieren, würden sich das bei diesen Preisen doch überlegen. Dann komme noch weniger bei der eigenen Bevölkerung an.

Wie sich die Preise weiterentwickeln, sei schwer vorauszusagen. Sicher ist laut Ami-Expertin aber, dass der Bedarf an Getreide stetig steigt – wegen der wachsenden Weltbevölkerung und dem zunehmenden Wohlstand in einigen Teilen der Welt. „Jetzt kommen die fetten Jahre – für Getreidebauern“, schrieben jüngst die Experten von „agrarheute“.

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Erstellt:
22.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 22.05.2021, 06:00 Uhr

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