Fasnet 2023
Rathaussturm in Tübingen: Gelingt Palmer die Flucht?
Am Montagmorgen stürmen rund 150 Narren den Vorplatz des Rathauses. Palmer versucht zu fliehen, scheitert jedoch nach dem dritten Versuch.

Oberbürgermeister Boris Palmer versucht mit dem goldenen Schlüssel zu fliehen. Bild: Ulrich Metz
Die Musik der Narrenkapelle wird immer lauter. Die Narren nähern sich am Montagmorgen dem Rathaus. Oberbürgermeister Boris Palmer läuft auf den Marktplatz und hält den goldenen Schlüssel hoch. Schon füllt sich der Platz mit den Narren der Zünfte aus Tübingen und der Umgebung, alle sind bereit, ihm den Schlüssel abzunehmen. Palmer trägt eine Laufnarrenkappe und das nicht ohne Grund: „Weil ich ein Laufnarr bin, lauf’ ich mit den Schlüssel fort und ihr findet mich nie wieder.“
Es ist das erste Mal seit Beginn der Pandemie, dass es in Tübingen wieder einen Rathaussturm gibt. Zusätzlich zu diesem besonderen Anlass feiert die Narrenzunft Tübingen ihren dreißigsten Geburtstag. „Wir stoßen an auf 30 Jahre Narrenzunft“, verkündet der Tübinger Zunftmeister Markus Beuter. In seiner Rede berichtet er, wie es der Narrenzunft in den vergangenen Jahren erging und dass er froh ist, dass es dieses Jahr anders ist. „Die Kultur der Fasnet ist uns wichtig“, sagt der Zunftmeister.
Nach der längeren Pause, durch die Pandemie sei die Fasnet schwierig angelaufen, sagt Beuter. Das neue Sicherheitskonzept der Stadt für größere Veranstaltungen sei erschwerend hinzugekommen. Es sei sehr kostenaufwendig und zeitintensiv für die Zünfte gewesen. Beuter: „Wir machen das alles nach Feierabend.“ In der Stadt treffe das neue Sicherheitskonzept die Zunft mehr als in kleinen Ortschaften. Umso glücklicher sei er darüber, dass der Rathaussturm dieses Jahr geklappt hat.
OB Boris Palmer wagt einen ersten Fluchtversuch, doch die Narren stehen eng im Kreis und versperren ihm den Fluchtweg – da hat er keine Chance und steht weiter umringt von den Narren. Günter Buck, der Vorsitzende des Rosecker Fasnetsclubs, beginnt seine Rede, bei der er kein Gendersternchen auslässt.
„Lang, sehr lang isch‘s her seit am letzta Sturm auf dieses hohe Haus, doch ois isch blieba, der Boris, Sternchen, Barbara residiert no en dem Haus“, sagt Buck. Er lobt Palmer, dass er als gutes Vorbild für den Klimaschutz vorangeht, „denn er gaht gerne z’Fuß oder er fährt Fahrrad nur mit ma kloina E-Motor dran“.
Für ihn gebe es hier aber einen großen Haken. Palmer habe durch sein Amt Verantwortung für die Tübinger und ließe sie jeden Tag viele Kilometer Umweg fahren. „I be zwar bloß en Narr aber i denk der Erde zlieb sotta mer ons des spara“, fährt er fort. Doch er betont, dass Palmer auch seine guten Seiten habe. Er sage wenigstens seine Meinung – im Gegensatz zu anderen Politikern. „Die Fasnet 2023, sie lebe hoch!“, ruft er zum Ende seiner Rede.
Palmer startet einen weiteren Fluchtversuch, doch dieser scheitert ebenfalls. Immer mehr Hexen treten in den Kreis und das Fangen-Spiel beginnt. Nach dem dritten Fluchtversuch ist es endgültig vorbei, und die Narren heben jubelnd den Schlüssel in die Höhe. „Tübingen, wir sehen uns im nächsten Jahr wieder“, ruft Beuter zum Abschluss. Die Narrenkapelle spielt wieder ihre Musik. Wie auch die Jahre zuvor wurden nach der Schlüsselübergabe Brezeln und Getränke verteilt und die närrische Übernahme gefeiert.
Nach dem erfolgreichen Sturm verlassen die Narren das Rathaus zügig wieder und ziehen weiter. Für sie geht es entweder zum Umzug nach Hirrlingen oder nach Seebronn.
Was bedeutet eigentlich der Rathaussturm?
Die meisten Narren stürmen am „Schmotzigen“ die Rathäuser. Doch unter anderem in Tübingen passiert das erst am Rosenmontag. Und das schon seit über dreißig Jahren.
Der Akt ist symbolisch gemeint und soll zeigen, dass die gewohnten Normen für die sogenannte „fünfte Jahreszeit“ aufgehoben sind. Durch die Übergabe des goldenen Schlüssels, an dem die Wappen der Narrenzünfte hängen, kapituliert und besiegelt der Bürgermeister die Machtübergabe. Dann beginnt die „Herrschaft“ der Narren, die am Aschermittwoch endet. Sie haben nun das Sagen über die Stadt. Allerdings wäre ohne die Zustimmung des Bürgermeisters auch kein Rathaussturm möglich. Somit drückt der Rathaussturm, darauf wiesen schon vor Jahrzehnten die hiesigen Kulturwissenschaftler hin, eigentlich mehr eine Verbundenheit zwischen den Zünften und der Kommunalverwaltung aus als eine Ablehnung des örtlichen Gewaltmonopols. Der Rathaussturm habe daher auch keinen politischen Hintergrund, sondern diene eher der Selbstinszenierung der Vereine und der Unterhaltung.
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