Tübingen · Schokoladenmarkt

Faire Schokolade? Ist wichtig, aber …

Studierende eines „Studium Oecologicum“-Seminars der Uni Tübingen befragten Besucherinnen und Händler der 14. Chocolart zum Thema „fair gehandelter Kakao“.

07.12.2019

Von Volker Rekittke

Vor allem in Westafrika, aber auch in Lateinamerika ist der Kakaoanbau ein wichtiger Wirtschaftszweig: In der Kooperative „Rios de Agua Viva“ in Rancho Grande, Nicaragua, wird Kakao nach der Trocknung zum Verkauf für „Ritter Sport“ in Deutschland verpackt. Archivbild: Volker Rekittke

Vor allem in Westafrika, aber auch in Lateinamerika ist der Kakaoanbau ein wichtiger Wirtschaftszweig: In der Kooperative „Rios de Agua Viva“ in Rancho Grande, Nicaragua, wird Kakao nach der Trocknung zum Verkauf für „Ritter Sport“ in Deutschland verpackt. Archivbild: Volker Rekittke

Süßes satt gibt es auch 2019 auf dem großen Tübinger Schokomarkt. Was aber davon ist fair gehandelt? Bild: Ulrich Metz

Süßes satt gibt es auch 2019 auf dem großen Tübinger Schokomarkt. Was aber davon ist fair gehandelt? Bild: Ulrich Metz

Längst nicht alle Chocolart-Händler, die faire Schokolade anbieten, arbeiten mit einer Zertifizierung. Bei einer Umfrage von Studierenden an 51 von insgesamt 60 Schoko-Ständen (siehe Kasten unten) kam heraus, dass lediglich ein Dutzend Hersteller vor allem auf die gängigen Siegel „Fairtrade“ und „UTZ“ setzen. Weitere 12 gaben an, dass sie mit Kakaobauern oder Kooperativen direkte Lieferbeziehungen haben. Das Gros der Händler indes hat kein Siegel und auch keine direkten Kontakte zu Produzenten.

„Siegel sind auch eine Kostenfrage“, sagt Chocolatier Gerhard Madlon, der mit seinem Stand auf dem Holzmarkt steht. Er bezieht seine Schokolade von der Schweizer Firma „Felchlin“, die auf nachhaltige Beschaffung großen Wert legt. Essenziell ist für Madlon: Vertrauen. „Man kann einem viel erzählen über fair gehandelte Produkte, aber Sie müssen es glauben – oder auch nicht.“ Wem das Wort des Münchners nicht reicht, der kann an seinem Stand direkt per QR-Code mit dem Handy nachverfolgen, woher der Kakao stammt.

Beziehen fair gehandelten Kakao für ihre „Anti-Stress-Pralinen“ oder „Tübinger Kirschle“ von der Schweizer Firma „Felchlin“: Die Münchner Chocolatiers Gerhard Madlon und Christine Drey. Bild: Volker Rekittke

Beziehen fair gehandelten Kakao für ihre „Anti-Stress-Pralinen“ oder „Tübinger Kirschle“ von der Schweizer Firma „Felchlin“: Die Münchner Chocolatiers Gerhard Madlon und Christine Drey. Bild: Volker Rekittke

Dave Tjok, Gründer der Marke „Chill Choc“ legt Wert auf direkten Handel. Sein Unternehmen ist noch im Aufbau: „Wir sind im Zertifizierungsprozess.“ Das Bio-Siegel hat er schon. Tjok bezieht den Kakao für seine „stressreduzierenden“ Hanf-Schoko-Produkte aus Lateinamerika und steht in Kontakt mit den Kakao-Kleinbauern, die auch geschult werden. Immer mal wieder ist er selbst vor Ort in Peru oder Kolumbien.

Was sagt denn die Kundschaft? Gabriele Osswald aus Tübingen kommt regelmäßig auf den Schokomarkt. „Das Thema Fairtrade spielt bei mir eine Rolle“, sagt der Vollmilch-Fan. Sie frage manchmal bei den Händlern nach und achte darauf, „ob was dransteht an den Ständen“. Von ausbeuterischer Kinderarbeit in Westafrika habe sie noch nie gehört.

Beziehen fair gehandelten Kakao für ihre „Anti-Stress-Pralinen“ oder „Tübinger Kirschle“ von der Schweizer Firma „Felchlin“: Die Münchner Chocolatiers Gerhard Madlon und Christine Drey. Bild: Volker Rekittke

Beziehen fair gehandelten Kakao für ihre „Anti-Stress-Pralinen“ oder „Tübinger Kirschle“ von der Schweizer Firma „Felchlin“: Die Münchner Chocolatiers Gerhard Madlon und Christine Drey. Bild: Volker Rekittke

„Mindestens 70 Prozent Kakaoanteil“ muss eine Schokolade für Günter Geissler aus Heilbronn haben: „Alles andere ist Milch und Zucker.“ Ist ihm fairer Handel wichtig? „Ja schon. Und meistens ist’s ja an den Ständen angeschrieben.“ Gemeint ist das von den Chocolart-Machern kreierte grün-blaue Siegel mit drei Kakaofrüchten, das „Fairen Handel“ signalisieren soll. Doch die Vorstellung, es gebe dann zumindest überwiegend fairen Kakao, trifft nicht an jedem Stand zu (siehe „Übrigens“).

Die Tübinger Studentin Kristina Rückschloß ist nicht zum ersten Mal mit Freundinnen auf der Chocolart unterwegs. Dunkel oder hell? „Vollmilch“, sagt die junge Frau. Und Fairtrade? „Hier jetzt nicht so, da kauf ich eher, was mir in den Blick fällt.“ Mit Kinderarbeit auf Kakaoplantagen hat sie sich zwar noch nicht ausführlicher auseinandergesetzt – „aber man weiß es schon irgendwie“.

Der Chocolart-Besucher Roland Detting ist sicher: „Wir können doch hier zwei Euro oder mehr für Schokolade zahlen“, Deutschland ist schließlich ein reiches Land. Dennoch gehe es viel zu oft um „billig, billig, billig“, prangert er die deutsche Schnäppchenmentalität an. Ausbeutung, Kinderarbeit? „Das gehört alles verboten, von oben runter.“

Waltraud Störr aus Rottweil ist mit einem Busunternehmen angereist. Faire Ware ist ihr wichtig. Sie sagt aber auch: „Manchmal geht nicht alles, ist halt auch eine Geldfrage.“ Ob sie beim Kauf auf faire Produkte achtet? „Ich würde jetzt gerne ‚Ja‘ sagen – aber eher nein“, sagt Hanna aus Balingen. Ihren Nachnamen möchte sie bei dem Thema nicht in der Zeitung lesen.

Und wie schätzen die Chocolatiers selbst das Interesse der Kund(inn)en ein? Da reichen die Antworten von: „Es wird nur selten nachgefragt, woher der Kakao kommt, der Genuss steht im Vordergrund“ über „Es gibt lediglich Nachfragen nach veganer Schokolade“ bis hin zu „Viele fragen nach und wollen sich informieren.“ An den meisten Ständen (37) wird allerdings kein oder nur gelegentliches Kunden-Interesse am Thema faire Schokolade wahrgenommen.

Uni-Umfrage „Faire Schokolade?“ auf der Chocolart

„Aus welchen Ländern stammt der Kakao für Ihre Schokolade?“, wollte eine Gruppe von Studierenden des Seminars „Faire Schokolade“ der Uni Tübingen von 51 Chocolart-Händlern wissen. Bei der Umfrage geht es darum, die Relevanz von fair gehandeltem Kakao auf Tübingens Schokomarkt zu ermitteln. Deshalb wollten die Studierenden wissen, mit welchen Siegeln des Fairen Handels die Chocolatiers arbeiten, welchen Anteil fair gehandelte Schokolade in ihrem Sortiment aus macht. Und ob sie einen Überblick über ihre Lieferkette haben – und sicherstellen können, dass die Kakaobauern und ihre Familien auskömmlich von ihrer Arbeit leben können. Von Interesse war schließlich auch, ob die Kundschaft explizit nach fair gehandelter Schokolade fragte.

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Erstellt:
07.12.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 07.12.2019, 01:00 Uhr

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