Kreis Tübingen · Bahnverkehr

Fahrplanwechsel: Erhebliche Verschlechterungen

Zum Fahrplanwechsel verlängern sich die Fahrzeiten auf einigen Strecken im Land. Betroffen sind vor allem Tübingen und der Nordschwarzwald. Andere profitieren davon aber.

12.12.2019

Von RAIMUND WAIBLE UND DAVID NAU

Ein Zug fährt über die Einöd-Talbrücke bei Hattingen. Im Schwarzwald wird es mit dem Fahrplanwechsel auf einigen Strecken zu längeren Fahrzeiten kommen. Foto: Felix Kästle/dpa

Ein Zug fährt über die Einöd-Talbrücke bei Hattingen. Im Schwarzwald wird es mit dem Fahrplanwechsel auf einigen Strecken zu längeren Fahrzeiten kommen. Foto: Felix Kästle/dpa

Tübingen/Stuttgart. Die Leidenschaft für die Bahn hält Gerhard Schnaitmann auf Trab. Ende 2016 ging er als Nahverkehrsplaner der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg in den Ruhestand. Doch das hindert den Tübinger Experten nicht daran, weiterhin den Bahnverkehr im Land zu analysieren. Verkehrsminister Winfried Hermann machte ihn zum Sonderbeauftragten und Qualitätsmanager für den regionalen Schienenverkehr, wo er als Mittelsmann zwischen Auftraggeber und Dienstleistern nach Lösungen suchte.

Am 15. Dezember führt die Bahn den neuen Fahrplan ein. Dieses Datum bedeutet jedes Jahr große Veränderungen im Zugverkehr. Schnaitmann hat sich die neuen Fahrpläne genau angeschaut. Und kommt zu dem Schluss: In Nordwürttemberg gibt es „massive Verbesserungen“. So verdoppelt die Frankenbahn ihr Angebot durch die Einführung des Ein-Stunden-Takts statt des bisherigen Zwei-Stunden-Takts. „In Nordwürttemberg geschieht sehr viel. Das erkenne ich an“, sagt Schnaitmann.

Im Raum Tübingen/Nordschwarzwald beobachtet er aber erhebliche Verschlechterungen. „Es gehen Strukturen eines integralen Taktfahrplans verloren – eine bedenkliche Entwicklung“, kritisiert Schnaitmann. Funktionierende Transportketten würden unterbrochen, Nebenachsen geschwächt, wodurch „die Menschen ohne Not auf Hauptachsen gedrängt werden“. Auf Hauptachsen, die jetzt schon meist überlastet sind.

Kritik mit Beispielen

Schnaitmann belegt seine Kritik mit Beispielen. Nach dem alten Fahrplan fährt der Zug in Rottenburg (Kreis Tübingen) um 9:37?Uhr ab und kommt nach einem Umstieg in Hochdorf um 10:41?Uhr in Freudenstadt an – Fahrzeit 1:04 Stunden. Künftig startet der Zug um 9:43 Uhr mit Umstieg in Tübingen und Herrenberg, die Fahrt dauert künftig 2:01 Stunden, eine durchgehende Fahrkarte gibt es nicht. Gleiches gilt für eine Busfahrt von Rottenburg nach Bondorf und von dort weiter nach Freudenstadt.

Gerhard Schnaitmann. Archivbild: Ulrich Metz

Gerhard Schnaitmann. Archivbild: Ulrich Metz

Ein anderes Negativ-Beispiel ist die Verbindung von Tübingen nach Lahr, eine klassische Nordschwarzwald-Traverse auf Nebenbahnen in Ost-West-Richtung. Hier verlängert sich die Fahrzeit um 27 Minuten, weil die Strecke nicht mehr über Freudenstadt führt, sondern über Stuttgart und Karlsruhe. Dadurch erhöht sich auch der Fahrpreis.

Diese Probleme kennt auch Matthias Lieb, Chef des ökologischen Verkehrsclubs VCD. Er spricht allerdings von Kollateralschäden. „Das sind keine Dinge, die man absichtlich gemacht hat“, sagt er. Ursache dafür seien neue zusätzliche Haltepunkt zwischen Freudenstadt und Stuttgart. Weil der Zug vom Schwarzwald in die Landeshauptstadt dann früher abfahre, müsse die Strecke aus der Ortenau angepasst werden. „Das führt dazu, dass die Anschlüsse an manchen Stellen nicht mehr passen“, sagt Lieb. Die Fahrt über Stuttgart und Karlsruhe sei dann die attraktivere Verbindung, so Lieb.

Wer am Wochenende von Karlsruhe in den Luftkurort Schiltach im Kreis Rottweil gelangen will, muss nun auch umdisponieren und eine längere Fahrzeit in Kauf nehmen. Die Verbindung mit dem Regionalexpress Richtung Konstanz mit Umstieg in Hausach wird statt bisher 1:38 Stunden nun über zwei Stunden dauern. Oder der Bahnkunde fährt bis Offenburg mit dem ICE, dann kostet es ohne Bahncard statt 17,20 stolze 34,50 Euro.

Experte: Vorteile überwiegen

Auf den Nebenachsen Durchgangsverkehr zu schaffen mit kurzen Umsteigezeiten, war ein großes Ziel der Nahverkehrsgesellschaft. „Diese Fahrplanänderung läuft diesem Ziel komplett entgegen“, kritisiert Schnaitmann. Als weiteres Beispiel nennt er eine Fahrt von Tübingen-Unterjesingen nach Tuttlingen. Bisher startete dieser Zug 5:23 Uhr und hatte in Herrenberg eine Umsteigezeit von nur sechs Minuten. So kam er 7:19 Uhr in Tuttlingen an. Künftig geht der Zug schon um 4:46 Uhr und die Umsteigezeit in Herrenberg verlängert sich auf 31?Minuten. Die Ankunft in Tuttlingen bleibt so bei 7:19 Uhr, die Fahrzeit verlängert sich um 37 Minuten auf 2:33 Stunden.

„In meinen Augen ist man sich nicht über die Konsequenzen im Klaren, wenn man so ein integrales Konzept zerschlägt“, bedauert Schnaitmann. Das Bedauerliche sei, dass es so schwache Strecken wie die Gäubahn treffe.

Für VCD-Chef Lieb überwiegen hingegen die Vorteile des neuen Fahrplans. Vor allem der Stundentakt nach Würzburg sei ein „großer Erfolg“, ebenso die Verdichtung auf der Filstalbahn bis Geislingen. Die Nachteile, die im Einzelfall entstehen, führt er auch auf Lieferschwierigkeiten bei den Zügen der neuen Bahnbetreiber Abellio und GoAhead zurück (wir berichteten). „Man hat an einigen Stellen die Dinge nicht vollständig durchdacht, weil man ja noch Notfahrpläne erstellen musste“, sagt Lieb.