Moritz Hagemann über das Bild von Tübingen in der Hauptstadt

Facebook, Linsen und Abstiegskampf

In den U-Bahnen spielen Straßenmusiker, die „Grüne Woche“, eine der weltgrößten Ernährungsmessen, soll 400.000 Besucher in die Hauptstadt locken, die Politiker kämpfen um eine neue Regierung: Berlin Ende Januar. Friedrichstraße, fünf Gehminuten bis zum Brandenburger Tor, Checkpoint Charlie und dem Reichstag. Wildfremde Menschen stellen sich hier einer Frage: „Kennen Sie Tübingen?“

22.01.2018

Von Moritz Hagemann

Bilder: Ulmer, Archiv, Metz

Bilder: Ulmer, Archiv, Metz

Eine ältere Frau, etwa Mitte 40, überlegt. Sie kenne Tübingen, sagt Margarete Stiller und lacht: „Da kommt doch der Facebook-Bürgermeister her.“ So verschafft man sich Bekanntschaft, Herr Palmer. Tatsächlich fällt dessen Name in der Hauptstadt immer wieder. Am Freitag sogar mal wieder im Deutschen Bundestag. Der AfD-Abgeordnete Roman Reusch redete über die geforderte Altersfeststellung bei minderjährigen Flüchtlingen: „Wir machen uns hier die Anregung des grünen Oberbürgermeisters Boris Palmer sehr gerne zu eigen.“ Beifall bei der AfD – nur bei der AfD. Reusch fährt fort: „Anders als die Mehrheit dieses Hauses beurteilen wir eine Idee nicht danach, wer sie äußert, sondern danach, ob sie gut ist, und diese Idee ist gut.“

Gute Ideen braucht das bekannteste Team der Stadt dringend. Michael Dösinger, 29, studiert in Berlin. Er komme eigentlich aus dem Rheinland. Und mag Basketball. „Daher kenne ich Tübingen hauptsächlich“, sagt er. Wäre tatsächlich schade, wenn die Tigers absteigen würden. „Eigentlich waren mir die immer sympathisch.“ Hilft halt nix, Sympathie bringt keine Punkte. Ach ja, noch was: „Von den Forschern dort steht auch ab und zu was in der Zeitung.“ Das interessiert den Medizinstudenten.

Brille und Hut trägt das Berliner Original Kurt Rausch. Der 71-Jährige antwortet trocken: „Tübinger sind Schwaben. Die sind geizig“, sagt’s und lacht’s. 100 Punkte auf der Vorurteilsskala! Ein guter Freund von ihm lebe in Schwäbisch Gmünd. „Linsen mit Spätzle“, ergänzt er, „das ist was Gutes bei den Schwaben.“ Tübinger sind zwar Schwaben, aber alles zu vereinheitlichen – so kommen wir nicht weiter.

Szenenwechsel. Alexanderplatz, Fernsehturm, mittenrein ins Großstadt-Getümmel. „Tübingen?“, fragt Rita Herbert. „Liegt doch bei Stuttgart, oder?“ Sie sei jetzt kein Geographie-Ass, fügt die 58-Jährige hinzu, und verspricht, sie werde sich informieren. Ob sie Boris Palmer kenne? Nein, wer das sei. Ein in vielerlei Hinsicht engagierter Regionalpolitiker. „Oh je“, sagt sie. „Ein Schwieriger? Solche Politiker haben wir in Berlin doch genug.“ Antwort: Da müsse sie sich ihre eigene Meinung bilden.

Plötzlich steht da ein Paar aus England – man kann’s ja probieren: „Do you know Tübingen?“ Große Augen, fragende Blicke. Antwort von ihm, vielleicht Mitte 30, schon leicht ergraut: „No.“ War ja klar. Nächster Versuch: Eine Frau, noch keine 30, rosa Strähnen in den dunklen Haaren. Ihr Name? Den wolle sie nicht in der Zeitung lesen. Und Tübingen? „Kenne ick. Kleine Stadt, soll aber ganz schön sein.“ Vielen Dank für die Gespräche!

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Erstellt:
22.01.2018, 10:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 16sec
zuletzt aktualisiert: 22.01.2018, 10:00 Uhr

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