„Das ist der Wahnsinn!“

Fabian Hambüchen über Gold am Reck und das große Zittern vorher

Er sah für sich „keine große Chance“, machte sich wenig Druck, und alles lief perfekt. Fabian Hambüchen, 28, tritt mit Gold am Reck als Turner ab.

18.08.2016

Von WOLFGANG SCHEERER

RIO DE JANEIRO, BRAZIL - AUGUST 16: Gold medalist Fabian Hambuechen of Germany celebrates on the podium at the medal ceremony for the Horizontal Bar on Day 11 of the Rio 2016 Olympic Games at the Rio Olympic Arena on August 16, 2016 in Rio de Janeiro, Brazil. (Photo by Alex Livesey/Getty Images) Foto: GETTY IMAGES DE Getty Images Sou

RIO DE JANEIRO, BRAZIL - AUGUST 16: Gold medalist Fabian Hambuechen of Germany celebrates on the podium at the medal ceremony for the Horizontal Bar on Day 11 of the Rio 2016 Olympic Games at the Rio Olympic Arena on August 16, 2016 in Rio de Janeiro, Brazil. (Photo by Alex Livesey/Getty Images) Foto: GETTY IMAGES DE Getty Images Sou

Gratulation zur ersten OlympiaGoldmedaille, Herr Hambüchen!

FABIAN HAMBÜCHEN: Herzlichen Dank. Es ist unfassbar, der Wahnsinn. Es war einfach ein perfekter Tag. Ich wollte das Ding unbedingt.

Sie mussten als Erster ans Reck und haben starke 15,766 Punkte vorgelegt. Wie hart war die Wartezeit auf die anderen Wertungen?

HAMBÜCHEN: Das war die größte Qual meines Lebens. Die Hölle. Ich habe da zusammen mit Papa (Vater und Trainer Wolfgang Hambüchen, Anm. d. Red) gestanden, es war schon brutal. Jedes Mal haben wir überlegt: Was hat der für einen Schwierigkeitsgrad, wie hoch muss die E-Note für die Ausführung sein. Wir hatten die Ausgangswerte der anderen Turner im Kopf. Aber du weißt ja nie, wer wie variiert. Und in dem Moment kannst du auch nicht mehr gut rechnen. Du bist eigentlich nur am Hoffen, dass es reicht.

Sie haben einen Tick vor dem Publikum gejubelt. Wie ging das?

HAMBÜCHEN: Wir hatten unten so kleine Bildschirme, da kamen die Zahlen schneller als auf der großen Anzeigetafel. Das habe ich während des Wettkampfs gemerkt und immer draufgeschaut.

Es war ein ziemlich deutlicher Sieg am Ende, bis auf den kleinen Wackler im Stand.

HAMBÜCHEN: Was sind schon zweieinhalb Zehntelpunkte Vorsprung? Ein Schritt mehr beim Abgang, und das Ding ist weg. Ich hatte da gerade noch Glück, weiß gar nicht, was passiert ist. Ich stand, hatte dann das Gefühl, dass ich nach hinten falle und wollte einen minimalen Schritt machen. Dann habe ich mit den Armen gerudert. Vielleicht sah's ja auch aus, als würde ich jubeln (lacht).

Wann haben Sie geahnt, dass es reichen könnte?

HAMBÜCHEN: Als ich gesehen haben, dass bei Danells Übung kleine Ecken drin waren. Ich dachte irgendwann: Ja, das muss für mich reichen – und habe gehofft. Bei mir lief die Übung bis auf den Abgang perfekt durch. (Danell Leyva aus den USA holte die Silbermedaille, Anm. d.Red).

Sie haben am Reck Olympia-Bronze 2008, Silber 2012 und jetzt Gold gewonnen. Der Medaillensatz ist komplett. Wie fühlt sich das an?

HAMBÜCHEN: Ehrlich, ich kann das noch gar nicht richtig realisieren. Nur so viel: Ich habe von klein auf davon geträumt. Ab dem Moment, als ich selber Olympia im Fernsehen gesehen habe, habe ich gesagt: Ich will auch ganz da oben stehen. Ich hatte die besten Chancen 2008 und hab's nicht geschafft. In London war Silber dann super. Hier bin ich angereist ohne die Erwartung, ohne die große Aussicht, wirklich Gold zu holen.

Und schon klappt's!

HAMBÜCHEN: Unverhofft kommt oft. Das war vielleicht die beste Einstellung, die ich haben konnte. Und auch zu wissen, dass das mein letzter internationaler Auftritt sein wird, war immer ein gutes Argument, mich einfach selber runterzuholen, nicht zu nervös und angespannt zu sein. Weil ich einfach probiert habe, jeden Moment zu genießen. Und am Ende denkst du: So könnte ich noch 100 Jahre weiterturnen.

Sie fühlen sicher auch mit Epke Zonderland mit, mit dem Sie sich gut verstehen.

HAMBÜCHEN: Auf jeden Fall. Er musste mit angeschlagener Hand turnen. Das tut mir echt leid für ihn. Wir hatten am Tag vorm Finale noch zusammen zu Mittag gegessen. Wir sind wirklich gute Kumpels. Wir haben hier so viel Zeit wie noch nie zusammen verbracht. Ich war ja seit acht Tagen hier in Rio am Trainieren. Da hast viel zu viel Zeit zum Nachdenken. Aber, um nochmal auf Epkes Absturz vom Reck zu kommen: sehr, sehr schade für ihn.

Sie haben viel, aber nicht zu viel riskiert.

HAMBÜCHEN: Ja, ich habe das geturnt, was wir im Training vorbereitet haben. Meiner Meinung nach ist die Entwicklung nicht mehr ganz in Ordnung so: Es wird immer riskanter geturnt. Wir haben unseren Weg gefunden, die Übung so stabil und sicher wie möglich zu halten. Auch meine lange verletzte Schulter hat gehalten, alles hat geklappt!

Es war der letzte große Wettkampf. Sicher kommen noch ein paar Bundesliga-Auftritte. Aber wie geht es jetzt grundsätzlich weiter?

HAMBÜCHEN: Mein Freundin und ich haben Semesterferien. Jetzt geht es erst einmal in den Urlaub. Wir werden die Zeit genießen. Dann steige ich als Vetretungslehrer an einem Koblenzer Gymnasium ein. Insgesamt ändert sich mein Leben sicher nicht groß. Nur in die Turnhalle sehe ich nicht mehr so oft.

Sie sind nach dem Interview-Marathon noch einmal in die Halle gegangen und haben Fotos gemacht.

HAMBÜCHEN: Ich habe das Reck fotografiert und plötzlich gedacht, das musst du eigentlich kaufen und mit nach Hause nehmen. Dass ich es jetzt als Geschenk des Herstellers bekommen soll, freut mich natürlich riesig: eine sehr nette Geste!