Europa

Europas Puls schlägt um zwei

Sonntags trommelt die Initiative „Pulse of Europe“ für den europäischen Gedanken – zur selben Zeit in 46 deutschen Städten. Seit gestern auch in Tübingen.

20.03.2017

Von Christine Laudenbach

„Wir sind das Volk“ in Europa, riefen gestern viele laut auf dem Tübinger Holzmarkt. Bild: Laudenbach

„Wir sind das Volk“ in Europa, riefen gestern viele laut auf dem Tübinger Holzmarkt. Bild: Laudenbach

DasGlockenspiel vom Stiftskirchenturm eröffnete Schlag 14 Uhr mit der „Ode an die Freude“ – und stimmte damit die gut 400 Menschen auf dem Tübinger Holzmarkt auf ein „Ja zu Europa“ ein. Sie waren gekommen, um zu zeigen: Vielfalt und Gemeinsamkeit gilt es zu erhalten.

Aufgerufen hatte die überparteiliche Initiative „Pulse of Europe“, die mittlerweile in 46 deutschen Städten sonntägliche Kundgebungen organisiert. Auch über die Grenzen ist die Bürgerinitiative aktiv. In Frankreich etwa, in Irland, Großbritannien. „Wir wollen eine Menschenkette durch Europa bilden – und die Straße nicht Pegida überlassen!“, so eine der Rednerinnen.

Die sicher geglaubten Werte Frieden, Freiheit und Demokratie müssten vor aufkeimendem Rechtspopulismus geschützt werden. Die hohe Wahlbeteiligung in den Niederlanden vergangene Woche habe gezeigt, dass es sich lohne, „aufzustehen und wählen zugehen, um den europäischen Gedanken wieder sichtbar zu machen“. Rechtspopulist Geert Wilders’ schwaches Ergebnis sei zwar erfreulich, das Land „mit einem Blauen Auge davon gekommen“. Mit Blick auf die kommenden Wahlen in Deutschland und Frankreich gelte es jetzt aber, auch Frauke Petry und Marine Le Pen keine Chance zu lassen. „Wir wollen endlich eine europäische Demokratie“, forderte der Kopf der Tübinger Gruppe, Alexander Schilin, um Le Pen, Wilders, Erdogan und Co. „langfristig los zu werden“. In Großbritannien und den USA seien die Menschen zu spät aufgestanden. Weder Brexit noch die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten könnten rückgängig gemacht werden.

Kritiklos stehen die Europa-Anhänger der Gemeinschaft nicht gegenüber. Zu wenig Transparenz, zu wenig Mitbestimmung kreiden sie an. Dennoch: Frieden, Toleranz, Demokratie und Weltoffenheit gelte es zu bewahren – darin waren sich Redner und Zuhörer lautstark einig. „Wir sind das Volk“, „Jawoll“, war zwischen den Beiträgen immer wieder zu hören. Unterstrichen mit viel Applaus – auch als das Mikro für alle offenstand und Zuhörer mit teilweise sehr persönlichen Erlebnissen für Europa warben. Eine 65-Jährige etwa, die als Jugendliche mit ihren Eltern durch Frankreich fuhr und als Deutsche in Restaurants nicht bedient wurde. Oder eine junge Studentin, die für Erasmus warb und rief: „Wir lange nach dem Krieg Geborenen müssen aufstehen!“

Der Funke sprang über bei der ersten Tübinger Kundgebung. Organisiert hatte sie ein Team um den 24-jährigen Politikstudenten Alexander Schilin. Mit ihm engagieren sich rund 15 Europa-Anhänger, aus unterschiedlichen Altersgruppen, wie er sagt. Pensionierte Schulleiter seien ebenso dabei wie Studierende und Hausfrauen. Jürgen Kols ist einer von ihnen. Der Rentner zählt sich zu der Generation der Alt-68er. 20 Jahre hing der Button mit der Friedenstaube am Pinnbrett. „Jetzt hab ich sie wieder ausgegraben“, sagt er und zeigt stolz auf sein Revers.

Dieser Alters-Querschnitt im Team spiegelte sich in der Menge auf dem Holzmarkt. Alte und junge Gesichter. Familien und Rentner. Viele junge Menschen, Studierende. Manche halten mit blauen Luftballons und Transparenten die Fahne hoch für Europa. Als alle Teilnehmer nach rund einer Stunde Hand in Hand eine Kette bilden, stoßen sie an die Grenzen des Tübinger Holzmarktes.

Der „Pulse of Europe“ schlägt von Frankfurt aus

Am Morgen nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten suchten die Frankfurter Anwälte Sabine und Daniel Röder nach einem Weg, dem aufkeimenden Rechtspopulismus etwas entgegen zu setzen. Europas Bürger sollten eine Stimme bekommen. Ende November 2016 rief die überparteiliche Initiative „Pulse of Europe“ in Frankfurt zum ersten Mal sonntags, 14 Uhr, zur Kundgebung. 200 Menschen kamen. Aus der Wohnzimmer-Idee ist längst eine Bewegung geworden. Die Gruppen finanzieren sich und ihre Aktionen selbst und über Spenden.