Russland
Es taut – wie Permafrostböden und Klimawandel zusammenhängen
Wladimir Putin ist besorgt. Und weil er es nicht gewohnt ist, Entscheidungen kollektiver Weisheit zu überlassen, ordnete er an, ab sofort im Norden seines riesigen Landes die Gebäude überwachen zu lassen.
„Die direkten Folgen können sehr gefährlich sein“, sagt Jan Nitzbon, Klimaforscher vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam. „Wenn das Eis im Boden schmilzt, sinkt er ab. Kommt dann noch ein Gefälle hinzu, sind Gebäude akut bedroht. Aber auch auf eher ebenem Gelände sind Häuser, Straßen, Pipelines und andere kritische Infrastruktur in Gefahr.“ Immer wieder versinken auf Pfählen stehende Gebäude in dem neuerdings matschigen Boden. Im Juni vergangenen Jahres kippte in Norilsk, nördlich des Polarkreises, ein gewaltiger Tank um. 17 500 Tonnen Dieselöl flossen in die Natur. Der Betreiber verwies auf den Untergrund, der den Tank nicht mehr gehalten habe. Was ihn allerdings nicht von der Verantwortung freispricht, die sich verändernden Bedingungen nicht beachtet zu haben.
Erdreich gibt Elfenbein frei
Eigentlich sind fast zwei Drittel der Fläche Russlands dauerhaft gefroren. Aber weil die Temperaturen dort deutlich schneller steigen als im globalen Durchschnitt, erfolgt ein gigantisches Auftauen dessen, was eigentlich wie ein Kühlschrank des Planeten wirkt.
Die globalen Auswirkungen der sich wandelnden Permafrostböden gehen aber weit über die Nahrungsmittelproduktion hinaus. Sie betreffen das Klima selbst. „Bislang wurden die Effekte, die vom Permafrostboden ausgehen, bei den Modellen des Weltklimarates nicht vollständig berücksichtigt“ sagt der Klimaforscher Jan Nitzbon. Unumstritten ist, dass die Böden des Nordens zunehmend Kohlendioxid ausstoßen und das zumindest kurzfristig noch verheerender in der Atmosphäre wirkende Methan. Letzeres wird von bislang im Erdreich gefrorenen Pflanzen freigesetzt. Grob gesagt, gibt das Erdreich in eher trockenen Gebieten des Nordens CO frei und feuchte, sumpfige Areale Methan. Auch in Kalkstein findet sich Methan und könnte freigesetzt werden, wenn die Erwärmung immer tiefere Schichten erreicht.
In eisreichen Permafrostregionen, so der Potsdamer Klimaforscher Nitzbon, beobachtet man außerdem „abruptes Auftauen“, bei dem höhere Treibhausgasemissionen prognostiziert werden. Wie genau die jeweiligen Prozesse wirken, ist Gegenstand von Forschungen. Vorerst geht die Mehrheit der Wissenschaftler davon aus, dass das Schwinden der Permafrostböden mit 0,2 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 zur Erderwärmung beitragen wird. Der Beitrag der Menschheit ist deutlich größer. Aber das, was die Böden freigeben, kommt noch hinzu, sagt Jan Nitzbon. „Und vor allem: Sind die Böden erst einmal aufgetaut, ist der Ausstoß von Treibhausgasen nicht mehr aufzuhalten.“ André Bochow