Paketbombenprozess

Es riecht nach Freispruch

Sachverständige zerpflücken den Einsatz privater Mantrailer-Hunde bei den Ermittlungen gegen den angeklagten Ulmer Rentner.

16.10.2021

Von Alexander Albrecht

Prozess in Heidelberg: Der Angeklagte soll für eine Serie von explosiven Postsendungen verantwortlich sein. Er bestreitet das aber und kam inzwischen auch aus der Untersuchungshaft frei. Foto: Uwe Anspach/dpa

Prozess in Heidelberg: Der Angeklagte soll für eine Serie von explosiven Postsendungen verantwortlich sein. Er bestreitet das aber und kam inzwischen auch aus der Untersuchungshaft frei. Foto: Uwe Anspach/dpa

Heidelberg. Hunde mögen feine Nasen haben. Dass sie aber die Duftspur des im Fahrzeug transportierten Angeklagten von Ulm über Heidelberg bis ins Mannheimer Gefängnis nachschnüffeln können, halten zwei Gutachter am Freitag für Humbug. Die Sachverständigen zerstören vor dem Heidelberger Gericht die Aussagekraft des Einsatzes von Mantrailer-Hunden einer privaten Trainerin nach den Sprengstoffanschlägen auf die Lebensmittelkonzerne ADM Wild in Eppelheim und die Neckarsulmer Lidl-Zentrale.

Damit fällt eine der wichtigsten Säulen der Anklage in sich zusammen – und Klaus S. darf nach seiner vorzeitigen Haftentlassung darauf hoffen, auch nach dem Urteil ein freier Mann zu bleiben. Das Landeskriminalamt (LKA) hatte mehr als 30 Tage nach der Aufgabe der explosiven Post in einer Ulmer Postfiliale Mitte Februar die Mantrail-Hunde der Trainerin an einem Wattestäbchen schnuppern lassen. Darauf befand sich eine Geruchsprobe des Klebebands einer an Lidl gerichteten Bombe. Fingerabdrücke oder DNA-Spuren des angeklagten Rentners fanden sich darauf nicht.

Die Tiere wurden an neuralgischen Punkten zwischen Ulm und Mannheim „ausgesetzt“ und nahmen die mutmaßliche Fährte auf. Kai-Uwe Goos, Professor für Umweltchemie in Leipzig, stört sich schon daran, dass zwischen der Tat und dem Einsatz so viel Zeit verstrichen ist. Studien zufolge seien Erkenntnisse maximal in den ersten 36 bis 48 Stunden zu erwarten. Zudem seien der Beutel und darin das Röhrchen mit dem Wattestäbchen aus Plastik gewesen. „Das ist immer geruchsdurchlässig“, Geruchsmoleküle aus der Umwelt könnten die Probe verfälschen.

Es habe bei der Spurensuche „gravierende Defizite“ gegeben, so der Gutachter. So hätte es Goos für zwingend erforderlich gehalten, dass an den Einsatzorten der Tiere zur Kontrolle auch falsche Fährten gelegt worden wären. Stattdessen habe man die Hunde an Orten suchen lassen, von denen man wusste, dass sich der Angeklagte dort aufhielt oder sie vom Polizeitransporter mit dem 66-Jährigen passiert wurden.

„Unprofessionell und grob fehlerhaft“ nennt es der Wissenschaftler, dass die Trainerin die Belastbarkeit der Ergebnisse nicht durch vorher mit den Ermittlern vereinbarte Experimente überprüft, ja die Hunde nicht einmal auf die Einsatzsituation vorbereitet habe. Die Frau verwies vor Gericht auf die große Erfahrungen ihrer Tiere. Goos beanstandet, dass in ihrer Referenzliste kein Paketbombenfall aufgelistet ist. Und: „Das Training muss kontinuierlich weitergehen.“ Die Hunde liefen auch Gefahr, sich falsche Taktiken anzueignen. Die Vierbeiner waren nach erfolgreichen „Trails“ – also erschnüffelten Referenzpunkten – von der Trainerin mit einem „Leckerli“ belohnt worden.

Videoaufzeichnungen teils geschnitten

Goos fielen beim Studium der Videoaufzeichnungen auf, dass diese teils geschnitten wurden und Beteiligte in einer anderer Position zeigten. „Irritiert“ hat ihn auch der ständige Blick der Tiere zu ihrem Frauchen. Ebenfalls nicht überzeugend findet der Gutachter die Zertifikate, die ein ehemaliger Ermittler von Scotland Yard der Trainerin für ihre Hunde ausgestellt hatte. Zu den Kritikern des Mantrailer-Einsatzes zählt auch der zweite Sachverständige: Hans-Jörg Schalkowski, Hauptkommissar im Ruhestand, war jahrzehntelang Diensthunde-Ausbilder bei der Polizei. Was Menschen das Auge ist, ist bei Hunden die Nase. Nur dass die Tiere viel besser riechen als Menschen sehen können . „Dagegen sind wir fast blind“, so Schalkowski.

Zu spät, zu abgelenkt

Es gehe also darum, dass der Hund aus einer Vielzahl von Gerüchen denjenigen identfiziert, der auf die Spur eines Tatverdächtigen führe. Das sei jedoch nur in einem engen Zeitraum machbar. Als er noch im Dienst war, habe er einmal eine Suche 48 Stunden nach einem Verbrechen abgelehnt. „Das ist dann schlichtweg nicht mehr möglich“, sagt der Gutachter. Die Tiere der Hundeführerin seien zu oft abgelenkt worden. Die Trainerin habe die Hunde „fast emotionslos“ geführt, und selbst dann noch, als sie bereits müde gewesen seien. Die Tiere waren von der Firmenchefin und, zeitlich versetzt, ihrer Kollegin begleitet worden. Deshalb geht Schalkowski davon aus, dass sich die Hunde mitunter gegenseitig nachgeschnuppert haben.