Öko, ethisch oder secondhand? Es darf gern mal was Faires sein

Auf der Suche nach nachhaltig hergestellter Mode in der Fairtrade-Stadt Tübingen

Die Mischung macht’s“, sagt Elke Rusche von Marbello in der Neuen Straße. Mehr als 80 Marken hat sie im Sortiment, einige davon sind öko und fair. Etwa das mit dem Siegel GOTS gekennzeichnete bunte Sommerkleid des belgischen Labels „Froy & Dind“ oder jenes der Stuttgarter Marke Blutsgeschwister, Mitglied in der „Fair Wear Foundation“ (siehe unten).

01.08.2018

Von Volker Rekittke

Schnäppchenpreise auch ohne Schlussverkauf: Billigware aus Fernost gibt’s beim „New Yorker“ am Tübinger Holzmarkt. Bild: Rekittke

Schnäppchenpreise auch ohne Schlussverkauf: Billigware aus Fernost gibt’s beim „New Yorker“ am Tübinger Holzmarkt. Bild: Rekittke

Dabei geht es um die Bedingungen, unter denen Mode für den Weltmarkt, meist in Asien und meist von Frauen, hergestellt wird. Für konventionelle Jeans und Shirts müssen Näherinnen oft überlange schuften. Bei Fabrikunfällen und Bränden werden immer wieder Arbeiter verletzt oder sterben. Der Mindestlohn in Bangladesch liegt bei umgerechnet 52 Euro im Monat.

„Wir haben auch einige holländische Labels“, sagt Rusche. Im Nachbarland sei nachhaltige Mode ein großes Thema. Die Marke Sorgenfri wiederum lässt nach eigener Aussage zum größten Teil in Portugal produzieren.

Aus Portugal kommen auch die Unterhosen von Impetus, die Zinser ins Programm nahm. Die Unterwäsche-Firma orientiert sich laut Angaben auf ihrer Webseite an den Konventionen der UN-Arbeitsorganisation ILO, etwa zu Arbeitsschutz und geregelten Arbeitszeiten (siehe unten).

In der Sockenabteilung wird’s unübersichtlich: Falke lässt nicht nur am nordrhein-westfälischen Stammsitz produzieren, sondern auch in Portugal, Ungarn und Südafrika. Bei den bunten Socken der Marke Jungfeld prangt ein „Made in Germany“ auf dem vordersten Paar im Regal, auf der nächsten Verpackung ein „Made in Europe“, auf etlichen anderen finden sich gar keine Herkunftsangaben.

Bei „style afFAIRe“ in der Hafengasse gibt es ausschließlich faire Mode: von „recolution“ über „People Tree“ bis „Die rote Zora“. Jeans von Kuyichi (die Pioniermarke für Bio-Jeans stammt aus den Niederlanden), Knowledge (Dänemark) oder Feuervogl (Stuttgart) liegen im Regal. „Es ist halt immer eine Frage von Preis und Leistung“, sagt ein aus Münster stammender Tübingen-Besucher. „Dafür hält das T-Shirt für 30 Euro aber auch viel länger.“ Am Holzmarkt gibt es Shirts schon für ein Zehntel dieses Preises. So funktioniert „Fast Fashion“: kaufen, tragen, wegwerfen, neu kaufen.

Dem Mann aus Münster indes ist es nicht egal, unter welchen Bedingungen seine Kleidung hergestellt wurde. Geben auch Student(inn)en hier ihr knappes Geld aus? Durchaus, sagt Verkäuferin Jule Scheerer. „Es gibt immer mehr, die sich mit dem Thema nachhaltige Textilien beschäftigen.“

Winne Brugger kann sich noch gut an jene Zeiten erinnern, in denen es keine Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen oder fairen Kaffee in der Mensa gab. 1974 wurde in Tübingen das „Aktionszentrum Arme Welt“ gegründet. Befreiungsbewegungen kämpften damals von Vietnam über Angola bis Nicaragua gegen Despoten, alte und neue Kolonialmächte.

Seit einigen Jahren sitzt Brugger in der Steuerungsgruppe der Fairtrade-Stadt Tübingen. Von städtischer Seite ist Gertrud van Ackern, die Beauftragte für Bürgerengagement, für den Fairtrade-Bereich zuständig. Sehr gefragt, nicht nur von Schulklassen, seien aktuell die konsumkritischen Stadtspaziergänge zu fairem Handel und zu Mode, zu Wasser und Welternährung, berichten beide. Und sonst? Gibt es den fairen Markt, Vorträge, Filme, faire Schoki auf der Chocolart, die Partnerschaften Tübingens mit Villa El Salvador in Peru und Moshi in Tansania. Sogar ein „Fairer Einkaufsführer“ wurde von der Stadt ins Internet gestellt. Dort finden sich allerdings auch Ketten und Discounter, die nur einige wenige faire Produkte im Sortiment haben. Immer mal wieder gibt es auch andere Aktionen in der Stadt: Zettel mit Informationen über Herstellungsbedingungen fanden sich bereits bei H&M in Kleidungsstücken: „Wissen Sie eigentlich…?“

„Wer in Tübingen faire Kleidung kaufen will, findet sie auch“, sagt Van Ackern. „Noch besser als faire Kleidung zu kaufen, ist: einfach mal weniger kaufen. Die Kleiderschränke sind eh zu voll.“ Und dann gebe es ja auch noch Second-Hand- und Umsonst-Läden.

Beim ethischen Konsum sieht Brugger zudem das Problem: „Vieles basiert auf Freiwilligkeit.“ Sinnvoll wären gesetzliche Standards für alle Unternehmen in Deutschland oder Europa, deren Einhaltung bei Kontrollen überprüft würde.

Diese Siegel stehen für nachhaltige Kleidung

Auf der Suche nach nachhaltig hergestellter Mode in der Fairtrade-Stadt Tübingen

GOTS steht für „Global Organic Textile Standard“. Das Siegel gilt als führend bei der ökologisch und sozial verantwortlichen Verarbeitung von Textilien. Er umfasst die gesamte Produktionskette von Textilien und orientiert sich im Sozialbereich an den Kernarbeitsnormen der UN-Unterorganisation ILO (International Labour Organisation): Verbot von Diskriminierung, Zwangs- und Kinderarbeit, das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen. Diese Standards gelten auch bei der „Fair Wear Foundation“ (FWF). Der Schwerpunkt der Organisation, in der Textilunternehmen, NGOs und Gewerkschaften mitarbeiten, liegt mehr auf dem Bereich Soziales, bei GOTS mehr auf Ökologie.

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Erstellt:
01.08.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 01.08.2018, 01:00 Uhr

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