Tübingen

Es bildete sich ein unsichtbarer Bund

Von D’Alembert bis zur Hausbesetzung: Um politische Philosophie ging es beim Fahrenbach-Kolloquium.

18.12.2018

Von Ulrich Janßen

Mit einem Kolloquium würdigte am Freitag der Talheimer-Verlag in der Bibliothek der Universität Tübingen seinen „sehr umtriebigen Autor“  Helmut Fahrenbach. Im Jahr 2015  habe der Philosoph, erzählte Geschäftsführerin Irene Scherer vor etwa 50 Gästen, angefragt, ob der Verlag nicht Interesse an einigen seiner Arbeiten hätte. Es wurden dann mehr als 1700 Druckseiten, alles per Schreibmaschine geschrieben, und es ist noch kein Ende in Sicht: Pünktlich zu seinem 90. Geburtstag erschien Fahrenbachs  neues Werk über Brecht, weitere Bücher sind in Arbeit.

In drei Vorträgen beschäftigten sich  auf dem Kolloquium ehemalige Fahrenbach-Schüler  mit der Frage, wie Philosophie heute noch politisch wirksam sein kann – ein großes Thema in Fahrenbachs eigener Arbeit. Prof. Moritz Epple, Wissenschaftshistoriker  aus Frankfurt, erinnerte an den französischen Aufklärer Jean D’Alembert. Er habe die politische Philosophie als einer von wenigen Denkern direkt mit der Mathematik verbunden. Für D’Alembert hatte jeder Mensch einen Anspruch auf Sicherung eines Existenzminimums. Begründet sei dieser Anspruch durch  ein,  in allen Kulturen gleichermaßen  herrschendes Gerechtigkeitsempfinden. Zur Deckung des Anspruchs müsse laut D’Alembert das Volkseinkommen gerecht verteilt werden und zwar, wie er in einem Briefwechsel mit  dem preußischen König Friedrich ausführte,  sogar mathematisch gerecht.

Mathias Richter, inzwischen Kulturchef der Märkischen Oderzeitung, beschäftigte sich mit der politischen Wirksamkeit des von Fahrenbach eher ignorierten Michel  Foucault. Er bescheinigte dem französischen Philosophen zwar durchaus eine gesellschaftskritische Sicht auf die Gesellschaft, doch folge daraus nicht unmittelbar auch eine gesellschaftsverändernde Perspektive. Seine „politisch-praktische Durchschlagskraft“ bleibe begrenzt, weil es dem Vernunftkritiker nicht gelungen sei, „mögliche Ausgänge aus der herrschenden Rationalität aufzuzeigen“.

Die Fremdheit gemildert

Der Autor und Übersetzer Ulrich Müller-Schöll, der unter anderem als  Professor in Addis Abeba tätig war,  entwickelte schließlich am Beispiel eines einstmals besetzten Westberliner Mietshauses eine anschauliche Idee für die Wiederaneignung entfremdeten Lebens.  Das Haus mit etwa 300 Bewohnern sei nach der Wende verkauft worden, berichtete Müller-Schöll. Die Bewohner, die  bis dahin mehr oder weniger entfremdet vor sich hin wohnten, wurden durch die einsetzenden Entmietungs-Vorstöße der neuen Besitzer (Leerstand, Airbnb-Vermietungen) gleichsam aufgeweckt. Sie schlossen sich zusammen, prüften den Ankauf  des Objekts über eine Genossenschaft, tauschten sich aus, feierten Feste.

Es bildete sich  „ein unsichtbarer Bund aus Stimmungen und Schwingungen“, der die Fremdheit zumindest milderte.  Als Wiedergewinnung von „Resonanz“ beschreibt die Berliner Philosophin Rahel Jaeggi dieses Phänomen. Müller-Schöll appellierte an die Philosophie,  solch alltägliche Vorgänge vermehrt „zeitkritisch zu beleuchten“.

Fahrenbach und Brecht

Bertolt Brecht – Philosophie als Verhaltenslehre“ heißt das neue Buch von Helmut Fahrenbach. Es ist im Talheimer Verlag erschienen, hat 360 Seiten und kostet 39 Euro.

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Erstellt:
18.12.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 20sec
zuletzt aktualisiert: 18.12.2018, 01:00 Uhr

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