Wiedergeburt mit Pfirsichschnaps

Erzählwelten lockten 250 Zuhörer zur TAGBLATT-Gutenachtgeschichte in Bühl

Der Bühler Schlossgarten war ein besonders stimmungsvoller Rahmen für die TAGBLATT-Gutenachtgeschichte am Montagabend. Sogar eine Nachtigall ließ sich hören – und die Frauen-Formation „Dreiklang“.

03.08.2016

Von DOROTHEE HERMANN

Auf dem Gutenachtgeschichten-Lesesessel: Ortschaftsrätin Annerose Langer am Montagabend unter der Kastanie im dezent illuminierten Garten des Bühler Schlosses.Bild: Metz

Auf dem Gutenachtgeschichten-Lesesessel: Ortschaftsrätin Annerose Langer am Montagabend unter der Kastanie im dezent illuminierten Garten des Bühler Schlosses.Bild: Metz

Bühl. Zuerst kam die Nachtigall im „Nightingale“-Song der Frauen-Combo „Dreiklang“ mit Renate Hallmayer, Irene Jantzen und Birgit Vona. Begleitet von Pianist Bert Klein begrüßte das Trio die 250 Zuhörer der TAGBLATT-Gutenachtgeschichte im Schlossgarten Bühl. Mitgastgeber war die Buchhandlung Osiander.

Schlossbewohner Johannes Schweikle, studierter Theologe und Autor, moderierte. „Einst waren hier Jesuiten die Herren“, sagte er. Sie hätten nicht gewusst, was sie mit dem Gemäuer anfangen sollten und beschlossen: „Machen wir halt eine Brauerei auf.“ Der in der Wirtschaft zum Schlosssaal ausgeschenkte Trank sei derart gut angekommen, dass das Gerücht umgegangen sei: „Die hen em Keller a Geldmännle.“ In seinen Büchern befasst sich Schweikle aber weniger mit Bier als mit Fahrradfahren, dem Schnee oder dem Bergsteigen.

Als erste setzte sich Ortschaftsrätin Annerose Langer in den roten Ledersessel für die Gutenachtgeschichten-Vorleser. Sie zog vor Jahren nach Bühl, blieb aber nicht lange fremd. Denn die Kinderkrankenschwester an der Frauenklinik Tübingen trat damals gleich in die örtliche Narrenzunft ein. „Seither gilt sie als vollwertiges Mitglied der Dorfgemeinschaft“, so der Moderator.

Langer selbst stellte sich so vor: Wer sie kennt, weiß, dass „ernst und schwer“ nichts für sie sind. In diesem Sinne hatte sie das Gegenwartsmärchen „Mieses Karma“ von David Safier mitgebracht: Nachdem die Trümmer einer russischen Raumstation die Fernsehmoderatorin Kim Lange erschlagen haben, wird diese als Ameise wiedergeboren und muss ohnmächtig zusehen, wie sich eine Rivalin in ihrer Familie einnistet.

Eine Taube gurrt. Zwei Zuhörerinnen lehnen versunken lächelnd aneinander und verschaffen sich so eine recht bequeme Position auf den ob des Zuschauerandrangs zusätzlich aufgestellten Bierbänken. Die Ameise Kim befasst sich unterdessen mit einem ebenfalls insektenförmigen Schicksalgenossen, dem alten Lebemann Casanova, aktuell im 115. Leben: „Und ich muss zugeben, für eine Ameise konnte er wahnsinnig charmant lächeln“, denkt sich Kim, der die Vorleserin Annerose Langer ein nachsichtig-selbstironisches Lächeln mitgibt – während hoch oben über den Buchseiten Schwalben durch den Abendhimmel schwirren.

Ein paar Spätentschlossene tragen weitere Stühle herbei. Im nahen Kirschbaum beginnt eine Nachtigall zu singen, und Safiers Heldin versucht verzweifelt, eine höhere Stufe der Reinkarnation zu erreichen, von der aus sie wenigstens den Hauch einer Chance hätte, wieder auf ihre Familie Einfluss zu nehmen.

Der zweite Vorleser ist vergleichsweise noch Neu-Bühler. Der langjährige TAGBLATT-Redakteur Willibald Ruscheinski zog vor drei Jahren von Rottenburg in das Dorf. Doch die „alltäglichen Verrichtungen“ in Supermarkt oder Fitnessstudio führen ihn immer noch zurück in die Domstadt, verriet der 63-Jährige am Rande der Lesung. Derzeit stimmt er sich immer mehr auf Polen ein, das Land seiner Vorfahren. Er lernt Polnisch an der Volkshochschule Tübingen, besuchte vor kurzem zwei Wochen die Sommer-Uni in Wroclaw (Breslau) und entdeckt die polnische Literatur für sich.

Als Gutenachtgeschichte hatte Ruscheinski den Trinker-Roman „Zum starken Engel“ des polnischen Schriftstellers Jerzy Pilch mitgebracht. Dessen Protagonist sehnt sich bei Pfirsichschnaps und anderen Hochprozentern „nach der letzten Liebe vor dem Tod“. Seine lebhafte Phantasie hat er sich bewahrt: Wenn er mitten in der Nacht ein beleuchtetes Fenster sieht, stellt er sich vor, dass da jemand „die ganze Nacht das Buch seines Lebens las“, jemand aus einem fürchterlichen Alptraum erwacht, aus Sehnsucht weint oder mit einem fürchterlichen Husten kämpft. „Das ist das Schöne an Büchern“, meinte der Moderator, „dass sie einen in so unterschiedliche Welten entführen können.“

Info Am heutigen Mittwochabend um 19 Uhr macht die TAGBLATT-Gutenachtgeschichte im Klosterhofgarten Kusterdingen Station. Es folgt der Pfrondorfer Dorfplatz am morgigen Donnerstag, ebenfalls 19 Uhr.

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Erstellt:
03.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 48sec
zuletzt aktualisiert: 03.08.2016, 01:00 Uhr

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