Ukraine-Krieg

Was der Kreis Tübingen für Geflüchtete plant: Fragen & Antworten

Der Landkreis baut die Kreissporthalle in ein Ankunftszentrum für 280 aus der Ukraine Geflüchtete um. Und er sucht händeringend Wohnraum.

09.03.2022

Von Sabine Lohr

Die Kreissporthalle wird wieder zu einer Erstunterkunft für Flüchtlinge umgebaut. Von Montag an steht sie dafür zur Verfügung. Bild: Ulrich Metz

Die Kreissporthalle wird wieder zu einer Erstunterkunft für Flüchtlinge umgebaut. Von Montag an steht sie dafür zur Verfügung. Bild: Ulrich Metz

Tag für Tag kommen mehr Menschen nach Deutschland. In Baden-Württemberg befanden sich am Mittwochvormittag 1987 Personen in einer der Erstaufnahmestellen, 539 mehr als noch am Dienstag. Die Geflüchteten werden auf die Landkreise aufgeteilt und dann auf die Städte und Gemeinden. Der Kreis Tübingen bereitet sich auf viele Geflüchtete vor. Wie, das erklärten unter anderem Landrat Joachim Walter und die DRK-Präsidentin Lisa Federle am Mittwoch bei einer Pressekonferenz.

Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine sind bereits im Landkreis?

Das ist nicht bekannt, denn viele sind bei Verwandten, Bekannten oder Freunden untergekommen und haben sich bisher nicht gemeldet. Am Mittwoch wurden laut Walter aus Cottbus 100 ukrainische Geflüchtete in Rottenburg erwartet. Sie sollten im Hotel Convita untergebracht werden, das der Landkreis angemietet hat. Bisher sind sie allerdings nicht angekommen.

Wo sind und werden Geflüchtete untergebracht?

Seit Mittwoch wird die Kreissporthalle wieder zu einer Sammelunterkunft umgebaut. Der Landkreis nennt sie „Ankunftszentrum“. Dazu hat er einen Messebauer beauftragt, damit die Abteile nicht nur durch Bauzäune abgetrennt sind und eine gewisse Privatsphäre herrscht. Von Montag an können dort bis zu 280 Menschen untergebracht werden. Außerdem suchen Landkreis, Städte und Gemeinden nach Wohnungen. Walter sagte, möglicherweise würden an ein oder zwei Standorten auch Containersiedlungen aufgebaut.

Wie lange bleiben die Geflüchteten im Ankunftszentrum?

Landrat Walter verspricht, alle so schnell wie möglich in Wohnungen zu verteilen. Die Dauer des Aufenthalts im Ankunftszentrum hängt also davon ab, wie schnell wie viele Wohnungen zur Verfügung stehen.

Wenn jemand Wohnraum zur Verfügung stellen möchte, wohin soll er sich wenden?

An das Bürgermeisteramt seiner Stadt oder Gemeinde. Die Wohnungen werden dann angeschaut, und, wenn nötig, gerichtet. Danach wird entschieden, ob der Kreis oder die jeweilige Kommune sie anmietet. Wohnungen in Tübingen können auf www.tuebingen.de/ukraine gemeldet werden.

Wurden bereits Wohnungen angeboten?

Ja. Vor allem in Tübingen gibt es Angebote. Walter erklärt das damit, dass der Gemeinderat am Donnerstag die Satzung zum Zweckentfremdungsverbot beschließt. Dann dürfen etliche Ferienwohnungen nicht mehr als solche genutzt werden. Tübingens Bürgermeisterin Daniela Harsch bestätigte das gegenüber dem TAGBLATT. Die angebotenen Wohnungen würden derzeit erfasst, eine Anzahl könne sie deshalb noch nicht nennen.

Wie kann man den Geflüchteten helfen?

Landrat Walter bittet dringend darum, keine Sachspenden in die Kreissporthalle zu liefern. Der Landkreis werde zu gegebener Zeit mitteilen, was genau gebraucht werde. Walter rät „dick und rot unterstrichen“ davon ab, an die ukrainische Grenze zu fahren und dort Flüchtlinge zu holen. Das würde nur zu Chaos führen. Zudem verhandle die Bundesrepublik derzeit mit Polen über die Aufnahme von Flüchtlingen. Wer dennoch Verwandte oder Bekannte abhole, solle vorher dem Landkreis Bescheid geben. In nächster Zeit brauche man sehr viele Ehrenamtliche, die die Geflüchteten unterstützen, so Walter. Am Freitag gibt es ein Treffen aller Ehrenamtskreise, die klären, was getan werden muss und welche Unterstützung gebraucht wird.

Werden die Geflüchteten registriert?

Ja. Die, die in der Kreissporthalle oder in vom Kreis oder den Gemeinden angemieteten Wohnungen untergebracht werden, werden registriert. Walter bittet darum, dass sich auch die Ukrainer melden, die bei Privatpersonen eine Unterkunft gefunden haben. Das ist wichtig, weil alle finanzielle und sonstige Unterstützung bekommen. So wird etwa die Behandlung akuter Krankheiten finanziert, aber auch die Miete.

Das Problem bei der Registrierung ist, dass dazu ein Gerät gebraucht wird, mit dem Finger- und Handabdrücke genommen werden. Die Ausländerbehörden im Landkreis verfügen nur über eines dieser Geräte. Das ist zu wenig, denn diese Registrierung dauert zwischen einer halben Stunde und zwei Stunden. Walter hat nun bei der Bundesdruckerei weitere Geräte bestellt, auf die er wartet. Er hofft auch auf die Unterstützung von Polizei und Zoll, die ebenfalls solche Geräte haben. Bei der Flüchtlingskrise 2014 bis 2016 wurden alle Geflüchteten in den Landeserstaufnahmestellen registriert.

Welche Unterstützung bekommen die Geflüchteten vom Staat?

Anders als bei den Flüchtlingen aus anderen Ländern hat die EU nun die „Massenzustromrichtlinie“ erlassen. Demnach bekommen alle geflüchteten Ukrainer einen Aufenthaltstitel, der im Ankunftszentrum erteilt wird. Außerdem erhalten sie sofort eine Arbeitserlaubnis. Mit dem Land wird derzeit geklärt, ob sie auch Sprachkurse bekommen.

Bekommen die Geflüchteten ärztliche Hilfe?

DRK-Präsidentin Lisa Federle berichtete, dass das Arztmobil inzwischen mit Akut- und Notfallmedizin bestückt sei und das Team die Unterkünfte abfahre. In der Kreissporthalle werde das DRK regelmäßige Sprechstunden abhalten. Zur Zeit versuche sie, von der Klinik Studenten zu bekommen, die russisch oder ukrainisch sprechen. Auch Kinderärzte hätten sich bereits gemeldet, es dürften sich aber gerne noch mehr melden. In den Unterkünften würden den Geflüchteten auch Impfangebote gemacht.

Gibt es Plätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge?

Laut Walter haben die Jugendhilfeträger im Kreis zur Zeit keine Plätze mehr. „Das ist ein großes Problem.“ Kinder, die mit Tanten oder Großeltern kommen, bleiben bei diesen. „Da sind sie gut aufgehoben“, so Walter.

Gibt es überhaupt schon Angebote für geflüchtete Kinder und Jugendliche?

Federle, die den Verein „Bewegt euch!“ mitgegründet hat, sagte, es gebe ein Studenten- und Dolmetscherteam aus diesem Verein, das an die Kinder herantrete. Ziel sei es, die Kinder schnell in Vereine zu bekommen. Das sei nicht nur wegen sozialer Kontakte wichtig, sondern auch, um Traumata zu verarbeiten.

Die Kreissporthalle steht jetzt Schulen und Vereinen nicht mehr zur Verfügung. Wo treiben diese nun Sport?

Die Schulen nutzen die Freianlagen, sagte Gunnar Huste, geschäftsführender Schulleiter der beruflichen Schulen im Landkreis. Auch der TV Derendingen habe seine Anlage zur Verfügung gestellt. Da gerade Semesterferien seien, stünden übergangsweise auch die Sportanlagen der Universität zur Verfügung. Das sei vor allem wegen des anstehenden Sport-Abiturs der beruflichen Schulen wichtig. Für Vereine, die die Kreissporthalle nutzen, gibt es zur Zeit keine Lösungen. Walter versprach, nach Alternativen zu suchen und die Kreissporthalle so schnell wie möglich wieder für den Sport zur Verfügung zu stellen.

Wo gibt es weitere aktuelle Informationen?

Das Landratsamt hat auf seiner Internet-Seite www.kreis-tuebingen.de/ukraine viele Informationen eingestellt. Dort gibt es auch Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ). Fragen können per Mail an ukraine@kreis-tuebingen.de gestellt werden.

Krisenstäbe tagen in Stadt und Kreis

Zur Bewältigung der Folgen des Kriegs in der Ukraine hat die Stadtverwaltung Tübingen einen Krisenstab eingerichtet, der mindestens wöchentlich tagt. Darin tauschen sich die drei Bürgermeister sowie Vertreterinnen und Vertreter der betroffenen Fachabteilungen und Stabsstellen aus, um die anstehenden Aufgaben bestmöglich zu koordinieren.

Auch im Landratsamt gibt es einen Krisenstab. „Der heißt bei uns Selbsthilfegruppe“, sagte Landrat Joachim Walter. Er trete jeden Vormittag um 9 Uhr zusammen, anschließend gebe es eine Telefonschaltung mit dem Land. Künftig werde es auch ein- bis zweimal in der Woche Schalten mit den Städten und Gemeinden im Landkreis geben, um alles zu koordinieren. „Wir müssen aber neben allen Schalten auch noch zum Arbeiten kommen.“