Coronavirus

Erste Länder folgen Spahn

Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gehen beim Verbot von Großveranstaltungen voran.

11.03.2020

Von Stefan Kegel & Hajo Zenker

Entwicklung in Deutschland und Italien Foto: Grafik Peters, Quelle WHO, Statista.de

Entwicklung in Deutschland und Italien Foto: Grafik Peters, Quelle WHO, Statista.de

Berlin. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat seit Tagen dazu geraten, Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern abzusagen, um die Corona-Ausbreitung zu verlangsamen. Anweisen konnte er das nicht. Nun folgen ihm die ersten Bundesländer.

Bayern hat als erstes Land Großveranstaltungen abgesagt – mit welcher Begründung? Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte nach dem Kabinettsbeschluss in München am Dienstag ausdrücklich, für eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Bundesempfehlung zu sorgen. Es dürfe kein Kompetenzwirrwarr zwischen Bund, Ländern und Kommunen mehr geben. Bisher waren ähnlich geartete Großveranstaltungen je nach Ort erlaubt oder verboten worden. Es gehe um Synchronität, so Söder. Es gelte jetzt das „Primat der Medizin“, dem müsse sich alles unterordnen. Dafür wurde eigens eine so genannte Allgemeinverfügung erlassen, um die Kommunen zu einer einheitlichen Vorgehensweise zu zwingen. Bisher nämlich haben die Gesundheitsämter der Städte und Landkreise je nach eigenem Gusto entschieden.

Wie reagieren andere Bundesländer? Kurz auf Bayern folgten Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wo die Landesregierungen entsprechende Erlasse beschlossen haben. Bremen will das noch tun. In Baden-Württemberg teilte das Sozialministerium mit, schnellstmöglich eine bindende Verordnung auf den Weg bringen zu wollen, die Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern verbietet. Minister Manne Lucha (Grüne) hatte bisher die 1000-Teilnehmer-Grenze nur empfohlen. Berlin hat zwar am Abend alle großen Kulturveranstaltungen in Theatern und Konzertsälen der Hauptstadt abgesagt, will ansonsten aber an einer gemeinsame Linie aller Bundesländer festhalten.

Sind nicht eigentlich die Gesundheitsämter allein für konkrete Maßnahmen wie die Absage von Veranstaltungen zuständig? Deren große Macht wird jetzt offenbar im Sinne eines einheitlichen Vorgehens beschnitten. Denn die Gesundheitsämter dürfen im Fall der Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit in die grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechte der Bürger massiv eingreifen. Grundlage dafür ist das 2001 in Kraft getretene Infektionsschutzgesetz. Das beinhaltet eine Generalermächtigung, „alle notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren zu treffen“. Die Behörden der Städte und Landkreise können Erkrankte oder Infizierte befragen, untersuchen und behandeln. Betroffene müssen Auskunft geben und Röntgenuntersuchungen, Urin-, Blut- oder Stuhlprobenentnahmen und Abstriche durch Behördenmitarbeiter dulden. Verdachtsfälle müssen sich in eine verhängte Quarantäne fügen.

Und wenn man solche Maßnahmen als Betroffener nicht akzeptiert? Widersetzt man sich, drohen Geldbußen von mehreren tausend Euro oder gar Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Zur Durchsetzung der Maßnahmen kann das Gesundheitsamt auch die Polizei zu Hilfe rufen. Die Ämter können je nach Lage die Unterstützung der Landesgesundheitsämter oder von Bundesbehörden anfordern, müssen das aber nicht.

Hat der Bund gar nichts zu sagen? Grundsätzlich darf der Bund den Ländern nicht in den Infektionsschutz hineinregieren. Das Robert-Koch-Institut (RKI) ist als oberste Gesundheitsbehörde für Infektionsfälle lediglich als Ansprechpartner und Informationssammler aktiv. Eine Verwaltungsvorschrift regelt, dass das RKI, das Bundesgesundheitsministerium sowie die Gesundheitsbehörden der Länder untereinander ständig erreichbar sein müssen.

Und wenn eine Infektionswelle droht? Bei einer drohenden Epidemie oder Pandemie hat das RKI Frühwarnmeldungen unter anderem an das Bundesgesundheitsministerium und die Landesgesundheitsbehörden herauszuschicken. Wenn bei einer dringenden Gesundheitsgefahr die Bundes- oder Länderbehörden nicht rechtzeitig erreicht werden können, darf das Institut direkt mit örtlichen Behörden und Unternehmen Kontakt aufnehmen, um Sofortmaßnahmen zu beraten. Es darf ihnen aber nichts vorschreiben. Das RKI darf an den entsprechenden Stellen nötige Informationen abfragen.

Und der Krisenstab von Bundesgesundheits- und Innenministerium? Der beschäftigt sich zwar etwa damit, was im öffentlichen Leben noch erlaubt und was verboten sein sollte. Anweisen kann der Bund hier aber gar nichts, nur empfehlen. Entschieden werden muss in den Ländern.

Entwicklung in Deutschland und Italien Foto: Grafik Peters, Quelle WHO, Statista.de

Entwicklung in Deutschland und Italien Foto: Grafik Peters, Quelle WHO, Statista.de

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Erstellt:
11.03.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 48sec
zuletzt aktualisiert: 11.03.2020, 06:00 Uhr

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