Tübingen · Justiz

Update: Erste Erkenntnisse im Prozess um versuchten Giftmord

Am Freitagmorgen begann am Tübinger Landgericht ein spektakulärer Prozess gegen zwei Polizistinnen wegen versuchten Mordes.

08.11.2019

Von job

Voller Gerichtssaal am Freitagmorgen. Bild: Jonas Bleeser

Voller Gerichtssaal am Freitagmorgen. Bild: Jonas Bleeser

Es ist ein außergewöhnlicher Prozess, den das Tübinger Schwurgericht seit Freitag führt: Auf der Anklagebank sitzen zwei Frauen, 42 und 40 Jahre alt, deren Beruf es eigentlich ist, andere dorthin zu bringen: Beide arbeiten eigentlich bei der Kriminalpolizei. Die Tübinger Staatsanwaltschaft wirft ihnen versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor. Sie sollen gemeinsam geplant haben, den Ehemann der jüngeren zu vergiften. Auch er ist Kripo-Beamter.

Um Haaresbreite dem Tod entronnen

Im Februar war der 52-jährige Polizist mit lebensbedrohlich niedrigem Blutzuckerspiegel in die Reutlinger Klinik gebracht worden. Nur um Haaresbreite war er offenbar dem Tod entronnen. In seinem Blut fanden die Ärzte Spuren von Insulin, das ihm offensichtlich injiziert worden war. Allerdings bestand dafür kein medizinischer Grund: Der Mann ist kein Diabetiker. Am Vorabend hatte er sich krank gefühlt. Seine Frau brachte ihm daraufhin Orangen- und Grapefruitsaft, vermutlich mit Schmerzmitteln versetzt – und sie verbreichte ihm eine angebliche Vitaminspritze.

Die jedoch war mit Insulin gefüllt. Dem Mann ging es im Lauf der Nacht immer schlechter. Als er sich am anderen Morgen kaum mehr ansprechbar unter Schmerzen wand, verlangte die 16-Jährige Tochter, dass die Mutter den Notarzt rief. Seine Ehefrau aber weigerte sich. Stattdessen soll sich ihre Mitangeklagte der Tochter gegenüber am Telefon als Ärztin ausgegeben haben, um diese zu beschwichtigen. Erst als Stunden später der 13-Jährige Sohn den Notruf wählte und der Mutter das Handy in die Hand drückte, kamen die Rettungskräfte. Daraufhin zeigte der Familienvater seine Ehefrau an.

Seit Februar in U-Haft

Sie wurde festgenommen und sitzt seit Februar in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen führte die Kripo Stuttgart. Im Juni kam dann die überraschende Nachricht, dass eine 42-jährige ehemalige Kollegin der Ehefrau festgenommen wurde. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, gemeinsam mit der 40-Jährigen die Tötung des Ehemanns geplant zu haben. Das belegen die Ermittler anhand zahlreicher Whats-App-Nachrichten: So habe die ältere der jüngeren bereits im Januar geschrieben: „Also bringen wir ihn doch um“, worauf die erwidert habe: „Meine Rede“. Unter anderem soll die 42-Jährige, selbst Diabetikerin, das Insulin beschafft haben. Die Spritze schickte sie ihrer Kollegin von ihrem Büro aus – per Dienstpost.

Die angeklagte Ehefrau wirkte beim Prozessauftakt am Freitag ruhig und kontrolliert. Mit ihrem Mann, der ihr am Nachmittag als Nebenkläger gegenübersaß, vermied sie den Blickkontakt. Sie räumte ein, ihm das Insulin gespritzt zu haben. Er habe sich von ihr trennen wollen und am Abend der Tat gedroht, ihr das Sorgerecht für die Kinder wegzunehmen. Das habe ihr Angst gemacht: „Da hat es bei mir den Schalter umgelegt.“ In der Ehe habe es ständig Streit gegeben, ihr Mann habe sie kontrolliert, beleidigt und erniedrigt.

Darauf führte sie auch ihr Alkoholproblem zurück. Aus Angst habe sie ihm Geldprobleme verheimlicht, Mahnungen versteckt und gelogen. Sie fälschte sogar das Zeugnis des Sohnes, um zu vertuschen, dass der in der Schule sitzenblieb. Gänzlich anders schilderte es dagegen die 16-jährige Tochter, die per Videoschaltung aus einem Nebenraum als Zeugin gehört wurde: „Die Diskussionen in der Familie sind immer sehr offen gewesen.“ Im Alltag habe es kaum Streits gegeben, zuletzt sei sogar alles „perfekt“ gewesen.

Welches Motiv die Freundin der Ehefrau gehabt haben könnte, ihr bei dem Tötungsplan zu helfen, blieb zunächst rätselhaft: Dazu schwiegen beide. Sechs weitere Verhandlungstage sind geplant: Ein Urteil soll Ende Dezember fallen.